Schwaben-Wut
die Kommissarin die frohe Botschaft.
Fast jeder Teilnehmer der Runde ahnte, dass die Abwesenheit des unfähigen Vorgesetzten möglicherweise die Aufklärung der Flucht des jugendlichen Mörders um Tage beschleunigen konnte.
Neundorf entschuldigte sich, als die Diskussionen über neue Strategien ins Uferlose ausarteten. Ihr Arzttermin war vor vier Tagen abgesprochen und weit wichtiger als die diffusen Ideen, die jetzt breitgetreten wurden.
Sie nahm die Stadtbahn nach Möhringen, meldete sich dort bei der Assistentin ihrer Fachärztin an. Das Warten hielt sich in Grenzen. Kurz nach elf gratulierte ihr die Frau zur Schwangerschaft. Neundorf schaute die Ärztin konsterniert an.
»Sie sind sich sicher?«
»Absolut! Ich wünsche Ihnen viel Glück!«
Sie wollte es nicht glauben, hatte sich die ganze Zeit weisgemacht, die ausgebliebene Regel beruhe auf anderen Ursachen. Vierzig Jahre alt und jetzt ein Kind, zum ersten Mal. War es das, was sie wollte?
Sie wusste nur, dass sie den Vater nicht heiraten würde, den garantiert nicht. Obwohl ihre Liaison jetzt schon einige Monate währte, war sie sicher, dass es für eine längerfristige Bindung nicht reichte. Weder bei ihr noch bei ihm.
Sein Beruf als Marketing-Manager, wie sich das hochtrabend nannte, hatte sein Verhalten zu sehr geprägt, zudem seinen Lebensstil in Bahnen gelenkt, in denen sie niemals fahren würde. Hohle Faseleien, Show, Tamtam, Verpackung statt Inhalt, viel Lärm um nichts, wie sie zu urteilen pflegte.
Sich auf den Nachwuchs zu freuen oder auch nicht war keine Frage des fehlenden Vaters. Das nicht. Es war einzig die Frage ihrer zukünftigen Lebenskonzeption. Ob sie ein Kind einplanen wollte oder nicht. Sie musste sich bald entscheiden. Kaum mehr drei Wochen blieben ihr dazu Zeit.
Neundorf stieg wieder in die Stadtbahn, fuhr ins LKA zurück. Als sie Herrn Wierandt auf der Sitzbank ihr gegenüber entdeckte, fielen ihr wieder ihre beruflichen Sorgen ein.
Irgendetwas war faul an den Wierandt-Brüdern. Sie wusste nur nicht, was.
In ihrem Büro angelangt, fiel ihr ein, wen sie fragen könnte. Helmut Rössles Gedächtnis galt im Amt fast als legendär. Manchmal, wenn die Statistiken der Computer nichts mehr hergaben, stellte Rössles Superhirn Querverbindungen her, die plötzlich neue Aufschlüsse brachten.
Neundorf läutete bei ihm an, erhielt keine Antwort. Kurz nach zwölf. Mittagspause.
Sie wusste, wie Rössle diese verbrachte, überlegte, ob sie es riskieren sollte, ihn zu stören. Er ging als einer der wenigen prinzipiell nicht in die Kantine. Neundorf nahm das Foto mit der Hütte, verließ ihr Büro, lief vier Stockwerke hinab. Ihr Knie schmerzte.
Rössles Werkstatt, ausgestattet mit den teuersten Geräten, die Kriminaltechniker zur Verfügung standen, war leer, wie sie erwartet hatte. Sie lief leise zu seinem Schreibtisch, setzte sich auf seinen Stuhl. Keine zwei Minuten später stand er vor ihr.
Er schlurfte zum Waschbecken, klatschte sich zwei Hände voll Wasser ins Gesicht.
Neundorf grüßte.
»So, – was liegt an?«
Helmut Rössle galt als einer der fleißigsten Kriminaltechniker im Amt. Er war bereit, in Notfällen Überstunden zu schieben, Samstag und Sonntag trotz seiner Familie voll durchzuarbeiten, sich um Mitternacht noch in seinem Labor, das er aus reiner politischer Provokation als »Karl-Marx-Stadt« bezeichnete oder draußen an einem Tatort zu schinden – auf seine zehn Minuten Mittagsruhe, die er auf einem dicken Flokati-Teppich in einem Hinterzimmer seiner Werkstatt verbrachte, legte er eisern Wert. Jeder Kollege wusste diesen Wunsch im Normalfall zu respektieren.
»Wierandt, drei Brüder. Markus, Paul und Philipp. Was sagen dir die Namen?« Neundorf hatte am Morgen schon den Computer befragt, die gesamte Software des LKA sowie der angeschlossenen Datenbanken ausgequetscht – vergeblich. Nichts, was sie nicht längst über die Männer in Erfahrung gebracht hätte.
»Wierandt?« Rössles Miene wirkte noch leicht verschlafen. Er schlurfte nochmals zum Waschbecken, klatschte sich kaltes Wasser auf die Backen, ließ es abtropfen. »In welchem Zusammenhang soll ich die kennen?«
»Autohandel, LKW-Fahrten, Diebstahl, Hehlerei, Schmuggel.«
»Kleinere Fische also.«
Neundorf nickte. »Einer sitzt zur Zeit, die beiden anderen leben in Plochingen am Neckarhafen. Angeblich. Ich konnte nur einen finden. Wo der andere steckt, weiß ich nicht, suche aber dringend nach ihm.«
»Warum?«
»Weil ich fürchte, dass er den Stecher
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