Schwaben-Zorn
In Winnenden. Wir treffen uns jede Woche.«
»Von wann bis wann?«
»Von acht bis zehn.«
»Und dann?«
»Normalerweise fahren wir dann nach Hause. Aber gestern …«
»Ja?«
»Gestern wurde es später.«
»Wie spät?«
»Kurz vor halb elf waren wir daheim.«
»Kurz vor halb elf? Wieso?«
»Wir mussten noch unseren Missionseinsatz fürs Wochenende vorbereiten. Bruder Stöckle nahm uns mit.«
»Bruder Stöckle?« Braig betrachtete misstrauisch die aufgeregte Miene seines Gegenübers. Der Mann schwitzte vor lauter Aufregung, wischte sich immer wieder mit dem Rücken seiner rechten Hand über die Stirn.
»Er wohnt in unserer Nähe und geht wie wir treu unter Gottes Wort.«
»Wie kamen Sie dann nach Waiblingen?«
Robert Bangler seufzte: »Was sollte ich dort?« Er schüttelte energisch den Kopf. »Sie können es nicht wirklich glauben, nein, das können Sie nicht!« Er erhob sich ruckartig von seinem Stuhl, lief unruhig hinter seinem Schreibtisch hin und her. »Ich weiß, dass Sie es nicht glauben.«
»Christina wurde gegen 23 Uhr ermordet. Erwürgt«, betonte Braig.
»Ich war es nicht!«, schrie Robert Bangler. Er starrte Braig an, überrascht, fast entsetzt über seinen eigenen Wutausbruch, schüttelte wieder seinen Kopf. Das Echo seiner heftigen Worte hing in der Luft, ließ beide für mehrere Sekunden verstummen.
»Fragen Sie meine Frau«, sagte Bangler dann, setzte sich wieder auf seinen Stuhl. »Der HERR«, er betonte das Wort, sank in sich zusammen, »ist mein Zeuge.«
»Sie gingen nicht mehr außer Haus?«
»Nein. Sie war unsere Tochter, was glauben Sie denn?«
Braig fragte nach den Telefonnummern und Adressen der erwähnten Personen, nahm sich vor, die Aussagen zu überprüfen. »Christina wurde erwürgt. Jedenfalls, soweit es unsere vorläufigen Untersuchungen ergaben«, setzte er hinzu.
»Aber doch nicht von mir«, erklärte der Mann, »wir leben doch nach Gottes Wort.«
Braig hatte keine Lust, auf die Floskel seines Gesprächspartners einzugehen, erinnerte sich an den Bericht Michaela Schneitters. »Wer war der zweite Mann, mit dem Sie die jungen Frauen in Endersbach bedrohten?«
Bangler schaute ihn nachdenklich an, zog ein Stofftaschentuch aus seiner Hose, wischte sich damit übers ganze Gesicht. »Bedrohten?«, fragte er zögernd.
Braig gab keine Antwort, nickte nur.
»Bruder Stöckle war einmal mit mir dort. Er wollte mir beistehen, Rebekka und Christina auf den rechten Weg zurückzuführen.«
Braig fühlte sich von den Phrasen dermaßen genervt, dass er sich ohne jeden weiteren Kommentar von seinem Stuhl erhob und zur Tür des Büros schritt. Er wusste, dass er die Angaben Banglers schleunigst überprüfen musste, schon um zu verhindern, dass der Mann im Nachhinein noch versuchen konnte, Absprachen zu treffen, um seine Aussagen trotz anderweitigen Verhaltens bestätigen zu lassen. Wenn er kurz vor halb elf zu Hause eingetroffen war, hatte er immer noch genug Zeit gehabt, um nach Waiblingen zu fahren und seine Adoptivtochter zu ermorden. Von Schwaikheim zum Fundort der Leiche waren es gerade mal sieben, acht Kilometer: eine Angelegenheit von wenigen Minuten. Das verunstaltete Gesicht des toten Mädchens wies deutlich genug darauf hin, dass es sich um eine Tat handelte, die in großer emotionaler Erregung ausgeführt worden war. Wer, wenn nicht der um seine beiden Töchter betrogene, offenkundig leicht erregbare Adoptivvater kam dafür in Frage? Er hatte die junge Frau zur Rede gestellt, war von ihr abgewiesen worden, hatte dann, besinnungslos vor Wut, auf sie eingeschlagen, sie erwürgt und mit seinen Fäusten malträtiert, bis von ihrem Gesicht nur noch ein fratzenhaftes, Monster-ähnliches Schlachtfeld übrig geblieben war …
Braig blieb mitten im Zimmer stehen, zwei, drei Schritte, bevor er die Tür erreicht hatte. Christina Banglers grauenvoll entstelltes Gesicht vor Augen – ein Anblick, den er garantiert nicht so schnell vergessen würde –, drehte er sich nochmals um! Warum sollte es nur ihm so ergehen? Es gab die gesetzliche Verpflichtung, dass Mordopfer von einem Angehörigen identifiziert werden mussten …
»Wann haben Sie Zeit?«, fragte er.
Robert Bangler sah mit großen Augen zu ihm auf. »Wozu?«
»Ihre Tochter identifizieren. Wir brauchen die Gewissheit, dass es sich wirklich um Christina handelt.«
Braig nahm mit Genugtuung wahr, wie der Mann sichtbar erbleichte.
10. Kapitel
Herbert Kapl war den ganzen Tag unterwegs gewesen.
Zuerst, von zehn Uhr an, mit
Weitere Kostenlose Bücher