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Schwaben-Zorn

Titel: Schwaben-Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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aufgeregt, spulte atemlos eine ganze Litanei von Klagen über die Verdorbenheit der Welt und die Unfähigkeit der Polizei vor ihm ab. Er hatte Schwierigkeiten, sie zu verstehen, kamen ihre Worte doch viel zu schnell, dazu in einem deutsch-jugoslawischen Kauderwelsch, dessen er sich nur noch bruchstückhaft mächtig fühlte. Dass sie ihn unter seiner Büro-Nummer anrief, war außergewöhnlich und in den letzten Jahren kaum mehr vorgekommen. Wenn sie ihn am helllichten Tag im LKA mit solch aufgeregten Wortkaskaden überfiel, musste Schlimmes vorgefallen sein.
    »Mama, was ist passiert?«, unterbrach er sie. »Warum rufst du an? Langsam, bitte, alles der Reihe nach!«
    »Jos pitas sta se desilo?«, schimpfte sie. »Du fragst noch, was passiert ist?«
    Braig hatte sie gut verstanden. Sie war unüberhörbar schlecht gelaunt, ärgerte sich über die ungeniert zu Werke gehenden Verbrecherbanden, die völlige Unfähigkeit der Polizei und die viel zu lässige deutsche Gesetzgebung. Er kannte seine Mutter zur Genüge, wusste, welche Reaktion ihre derzeitige Gemütslage erforderte: Erst ausreden lassen, nicht dazwischen reden, sich ihre Schimpfkanonaden ohne jeden Kommentar anhören und dann, wenn ihre Aggressionen teilweise abgearbeitet waren, äußerst verständnisvoll auf sie eingehen – auch wenn ihm die Zeit dazu eigentlich fehlte. – Die Staatsanwaltschaft musste warten.
    Nach und nach verlor ihre Stimme an Schärfe, verlangsamte sich ihre Rede. Braig vernahm irgendetwas von einem Überfall, hörte immer wieder denselben Namen.
    »Dr. Ohlrogge?«, fragte er vorsichtig. »Deine Ärztin?«
    Diese hatte sie nach ihrem Herzinfarkt vor wenigen Jahren nicht nur physisch, sondern auch psychisch vorbildlich behandelt, seine Mutter nicht nur wieder auf die Beine gebracht, sondern ihr auch neue Impulse vermittelt. Braigs Leben war seither weitaus angenehmer, nämlich ohne die vorher fast alltäglichen mütterlichen Eifersuchts-Attacken verlaufen. Dr. Claudia Ohlrogge stand nicht nur bei seiner Mutter, sondern auch bei ihm selbst in hohem Ansehen.
    »Was erzähle ich dir die ganze Zeit?«, fauchte seine Gesprächspartnerin.
    »Überfallen?«
    »Du kannst nicht zuhören, wie?«
    »Wo ist es passiert?«
    »Das sage ich doch die ganze Zeit: In Rosenheim, mitten in der Stadt.«
    »In Bayern?«
    »Ich weiß nicht, wie oft ich es dir noch klarmachen soll: Das ist ja das Schlimme. Die sind unfähig. Sie können nichts machen, das ist alles, was wir als Antwort bekommen.«
    »Und wie genau ist es abgelaufen?«
    Braig hörte sich zum dritten oder vierten Mal an, wie ein Motorrad mit zwei jungen Männern unweit des Marktplatzes in Rosenheim auf Dr. Ohlrogge zugeprescht war und ihr der Beifahrer dann die Handtasche mit ihrem Geld und den Ausweisen entrissen hatte. Die Ärztin war zu Fall gekommen und hatte sich eine Schramme im Gesicht sowie Verletzungen an den Beinen zugezogen.
    »Woher weißt du das so genau?«, fragte er. »Hat sie es dir erzählt?«
    »Ich war dabei«, kreischte seine Mutter so laut, dass er den Telefonhörer ein Stück weit von seinem Ohr weghalten musste, »wir liefen nebeneinander. Beinahe wäre ich auch noch gestürzt.«
    »Habt ihr euch nicht das Kennzeichen des Motorrads gemerkt?«
    »Das Kennzeichen?«, rief sie laut. »Du glaubst wohl, wir fahren dorthin, um am helllichten Tag mitten in der Stadt alle Kennzeichen zu studieren?«
    Braig versuchte sie zu beruhigen, erfuhr, dass sie gemeinsam mit Dr. Ohlrogge nach Rosenheim gefahren war, um ihr dort, wie einen Abend zuvor schon in Salzburg, bei ihren Vorträgen zu assistieren. Er kannte die Thematik, mit der sich die Ärztin beschäftigte, zur Genüge, war seine Mutter doch seit ihrem Herzinfarkt aus eigener Erfahrung davon beseelt. »Ich war drüben«, hatte sie ihm erzählt, »in einer wunderschönen Welt. Alles war hell, überall nur Sonne und Licht. Ein strahlend helles, blendendes Licht. Das ganze Land in warmen, bunten Tönen. Und über allem ein Leuchten. Ein gleißendes, alles erfüllendes Leuchten. Und die Farben, wunderbare Farben. Jede hatte einen eigenen, einen wundervollen Ton. Alle Farben zusammen spielten eine herrliche, eine himmlische Melodie. Eine Musik wie im Paradies.«
    Er war kaum mehr imstande gewesen sie zu beruhigen, damals nach ihrer Krankenhauszeit. Ihr angeblicher Aufenthalt in einer jenseitigen Welt hatte sie so aufgewühlt, dass jedes Gespräch mit ihr immer wieder in ausführlichen Schilderungen dieser Erfahrungen endete. Zu ihrem

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