Schwaben-Zorn
alle verteilt.«
»Du bist gut. Hast du überlegt, welche Folgen das nach sich ziehen könnte?«
»Ich darf nicht daran denken.« Er goss Wasser in die Maschine, schaltete sie ein. »Die Frage ist, ob das Zeug wirklich bei allen Konsumenten solche Aggressionen auslöst. Wir müssen Pflügers Wohnung durchsuchen lassen, vielleicht finden wir weitere Pillen. Das Labor muss sie analysieren. Ich werde es sofort veranlassen.« Er rief erneut bei der Einsatzbereitschaft an. Weisshaar war am Apparat, notierte sich die Adresse des Mannes, sagte die sofortige Überprüfung der Wohnung zu. »Wir informieren die Staatsanwaltschaft darüber«, schloss Braig.
Er schaute auf die Uhr, sah, dass sie sich beeilen mussten. »Die Pressekonferenz, wie sollen wir vorgehen?«
» I ch sehe jetzt schon die Schlagzeilen vor mir. Hunderte von Drogenkillern unterwegs. Wer ist das nächste Opfer? Polizei völlig ahnungslos.«
»Du meinst, wir sollen vorsichtig sein und den Mord als einmaliges Ereignis darstellen?«
Neundorf nickte energisch mit dem Kopf. »Von unseren Befürchtungen darf nichts an die Öffentlichkeit. Sonst läuft uns die Sache aus dem Ruder und morgen haben wir eine Massenhysterie. Das Thema ist heikel genug.«
Braig wusste, dass sie Recht hatte. So wichtig es war, vor der Einnahme der gefährlichen Pillen zu warnen – jede noch so harmlose Andeutung, es könne weitere aggressive Ausfälle durch Drogenkonsumenten geben, konnte eine irrationale Jagd auf Verdächtige aller Art auslösen, die jeder polizeilichen Kontrolle entgleiten würde. Die Methoden der Boulevardpresse und vieler Privatsender waren in den letzten Jahren dermaßen verroht, dass sie buchstäblich über Leichen gingen, nur um für sich selbst Reklame zu machen und ihre Umsätze und Gewinne zu steigern.
»Dass Ecstasy-Konsum prinzipiell gefährlich ist«, fuhr Neundorf fort, »weiß heute jeder. Mit ausdrücklichen Warnungen vor der Einnahme der Pillen sollten wir daher vorerst noch warten. Die können wir immer noch veröffentlichen, sobald das Labor genaue Expertisen über die Zusammensetzung des Zeugs erstellt hat.«
Braig stimmte ihr zu, wurde vom Läuten des Telefons überrascht. Er nahm ab, hatte eine Frauenstimme am Ohr.
»Hier ist das Büro von Herrn Oberstaatsanwalt Koch. Ich bin verbunden mit Herrn Kommissar Braig?«
Er starrte überrascht zu seiner Kollegin hinüber, schaltete Zimmerlautstärke ein.
»Ich gebe Ihnen den Herrn Oberstaatsanwalt.«
Der Lautsprecher ließ deutlich das Knacken vernehmen, als die neue Verbindung hergestellt wurde.
»Koch«, dröhnte die Stimme des Mannes durch den Raum.
Braig sah, wie seine Kollegin ihren Mund aufriss und nach Luft schnappte. Er wusste, warum.
»Sie haben den Drogenmörder gefasst?«, fragte der Oberstaatsanwalt.
Braig fühlte eine Gänsehaut, die sich auf seinem Rücken ausbreitete. Er kannte den Mann, hatte oft genug mit ihm zu tun gehabt. Nicht ein einziges Mal auf freiwilliger Basis oder mit erfreulichen Momenten. »Den Mörder von Karen Rommel in Ludwigsburg, ja«, sagte er.
»Und der Frau in Waiblingen.« Koch formulierte es im feststellenden, nicht in fragendem Ton.
»Unser Täter kommt hierfür nicht in Frage. Er hat ein Alibi für den Mordabend.«
»Das spielt keine Rolle. Es geht um die Drogen. In zehn Minuten beginnt die Pressekonferenz?«
»17 Uhr, ja«, bekräftigte Braig.
»Ich übernehme die Sache als verantwortlicher Oberstaatsanwalt. Kommen Sie vorher bei mir vorbei und informieren Sie mich über die genauen Ermittlungsergebnisse. Ich erwarte Sie ab sofort in meinem Büro.«
Braig kam nicht mehr zum Antworten, die Verbindung war tot. Er hörte den Summton der Telefonleitung und zugleich das Blubbern der Kaffeemaschine, seufzte laut auf.
»Ausgerechnet der Kotzbrocken«, sagte Neundorf. »Ersparst du mir die Begegnung?«
Er stellte sich an die Kaffeemaschine, schenkte sich eine Tasse halb voll. »Nur weil du frisch operiert bist. Nicht, dass du noch mal ins Krankenhaus musst!« Er führte die Tasse zum Mund, spürte zu spät, dass der Kaffee noch brühheiß war, verbrannte sich Lippen und Zunge, spuckte die Brühe mitten ins Zimmer. »So ein Mist!«, keuchte er. »Heute Abend bleibt mir aber auch gar nichts erspart.«
31. Kapitel
Herbert Pflügers erneutes Verhör konnte erst kurz vor 19 Uhr beginnen. Die fast zwei Stunden vorher angesetzte Pressekonferenz unter der persönlichen Leitung des Oberstaatsanwalts Koch hatte sich mehr und mehr in die Länge gezogen,
Weitere Kostenlose Bücher