Schwaben-Zorn
nachdem der Oberstaatsanwalt persönlich mit weitgespannten Ausführungen auf die immensen Gefahren der Glückspillen im Allgemeinen und ganz besonders im vorliegenden Fall verwiesen hatte.
»Die geradezu diabolische Potenz der so genannten leichten Drogen, die von verantwortungslosen Kräften dieser Gesellschaft immer wieder verharmlosend als uneingeschränkt legalisierbar abgetan werden, zeigt sich heute aufs Neue. Morde an wehrlosen und unschuldigen Menschen, wie wir es in Waiblingen und Ludwigsburg innerhalb kurzer Zeit erleben mussten, werden von unseren Fachleuten nur als der Anfang einer Kette ähnlicher Vorgänge analysiert. Landeskriminalamt und Staatsanwaltschaft arbeiten mit allen verfügbaren Kräften daran, der weiteren Verbreitung dieser Aufputschmittel Einhalt zu gebieten. Wir benötigen ihre – nämlich der Öffentlichkeit und der Medien – Unterstützung, diese Maßnahmen zu bewerkstelligen.«
Braig und Neundorf hatten die Ausführungen des Mannes mit Kopfschütteln begleitet, sich in keiner Weise über den anschließend einsetzenden Aufschrei der Pressevertreter gewundert.
»Sie glauben allen Ernstes, es wird weitere Morde geben?«
»Haben Sie Informationen darüber, wer diese Teufelspillen vertreibt?«
»Müssen wir nicht die Bevölkerung aufrufen, in nächster Zeit nicht mehr allein auf die Straße zu gehen?«
Braig hatte Neundorfs versteinerte Miene bemerkt, war ihr kurz nach 18 Uhr, als die Anfragen der aufgeregten Journalisten immer noch kein Ende nehmen wollten, Hals über Kopf aus dem Presseraum gefolgt. Sie waren unfähig gewesen, ihre Wut über das Vorgehen des Oberstaatsanwalts in Worte zu fassen, hatten Wintterlins Bescheid, dass das Alibi Pflügers absolut wasserdicht sei, weil nicht nur Joachim Haag und Marc Reichel, sondern auch die Bedienung des Sudhaus dessen Anwesenheit am Montagabend nachträglich bestätigten, fast schweigend entgegengenommen.
»Ist irgendwas?«, hatte Wintterlin nach ihrem Bericht unsicher gefragt.
»Der Staatsanwalt«, hatte Neundorf erklärt, »Babyface hat die Sache übernommen. In gewohnter Manier.«
»Koch? Nein, womit habt ihr das verdient?« Die Beileidsbekundungen der Kollegin wollten kein Ende nehmen.
* * *
Herbert Pflüger benötigte mehrere Anläufe, bis er bereit war, den Lieferanten seiner Aufputschpillen zu benennen. »Wir sind befreundet, verstehen Sie doch, ich will nicht, dass der da mit reingezogen wird«, hatte er mehrfach erklärt, »wir kennen uns von früher, waren beide auf derselben Schule in Rostock.«
»Der wird nicht erst reingezogen, der ist längst drin. Mittendrin«, hatte Koch erwidert. »Wie lange sollen wir noch warten, bis Sie den Namen endlich ausspucken?«
Kurz vor halb acht war er soweit. Braig hatte seinen Blick entnervt zur Seite gewandt, weil ihn die leicht näselnde Aussprache des Oberstaatsanwalts sowie dessen gesamtes Auftreten anwiderten und er wenigstens optisch von allzu engem Kontakt mit ihm verschont bleiben wollte. Kochs ausgeprägtes Milchbubengesicht passte eher zu einem pubertierenden Heranwachsenden, der jeden Tag Stunden grimassenschneidend vor dem Spiegel verbringt, krampfhaft darum bemüht, wenigstens einen Hauch eines erwachsenen Gesichtszugs in seine Miene zu zaubern. Die Brille half dieser Bemühung in keiner Weise, verlieh sie dem Mann doch zusätzlich ein Aussehen, das dem aus vielen alten Filmen bekannten widerlichen Streber glich, der es mit unerbittlichem Pauken und Schleimerei gegenüber seinen Lehrern zum allseits ungeliebten Klassenprimus schafft.
»Herr Pflüger«, versuchte es Raffaela Kurz, »Sie haben erzählt, Sie benutzen Aufputschmittel, um in Ihrer Freizeit fit zu bleiben. Wie viele Pillen konsumieren Sie im Schnitt jede Woche?«
Pflüger seufzte laut. »Mal eine, mal zwei oder drei – je nachdem, was läuft.«
»Also können es durchaus auch mehr sein. Ich meine, wenn entsprechende Veranstaltungen stattfinden.«
»Wann ist das schon der Fall?«
»Ich denke, drei, vier Mal im Monat?«
»Vielleicht«, gab Pflüger zu.
»Vielleicht?«
»Ja, ab und zu schon.«
»Also, dann auch vier oder fünf Pillen in einer Woche«, schlussfolgerte Raffaela Kurz.
Pflüger zierte sich immer noch. »Ja, vielleicht.«
»Oder auch sechs oder sieben.«
»Nein, so viele nicht.«
»Nur ab und an mal.«
»Ja.« Pflügers Antwort klang trotzig wie die eines bei einer verbotenen Tat ertappten Kindes. »Das haben mich Ihre Kollegen doch alles schon einmal gefragt.«
Kurz ließ sich nicht
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