Schwanengesang (German Edition)
genauer betrachte, dann haben Sie durchaus Ähnlichkeit mit Yvonnes Begleiter. Nein, das sind ja tatsächlich Sie! Unglaublich. Unter diesen Voraussetzungen nehme ich das mit dem ›nicht ganz so attraktiv‹ natürlich wieder zurück.«
Rottmann war so blass geworden wie die Hauswand hinter ihm. Hektisch sah er sich in alle Richtungen um. Dann fasste er Marc am Arm, zog ihn in die Diele und knallte die Tür zu. »Was wollen Sie?«, fauchte er Marc an.
»Wollen?«, tat Marc erstaunt. »Ich wollte mich eigentlich nur bei Ihnen bedanken, dass Sie dem armen Mädchen hel fen. Und ich dachte, Ihre Frau könnte es vielleicht auch interessieren, was für einen großzügigen Mann sie geheiratet hat.«
Rottmann starrte Marc eine Weile an. »Also gut, Sie haben gewonnen«, sagte er dann. »Geht es um Geld? Passen Sie auf, wir regeln die Sache so: Sie sagen meiner Frau nichts von diesen Bildern und ich verzichte darauf, Ihr Vermächtnis anzufechten. Und dann zahle ich Ihnen noch einmal … sagen wir fünfzigtausend Euro obendrauf. Als Entschädigung für Ihre Mühe und die Fotos. Was halten Sie davon?«
»Ich bin an Ihrem Geld nicht interessiert«, antwortete Marc. »Was ich brauche, sind Antworten.«
Rottmann dachte nach. »Lassen Sie uns ins Wohnzimmer gehen«, sagte er dann förmlich. Er bot Marc einen Platz, aber nichts zu trinken an.
»Ich möchte Ihnen einfach mal schildern, was mir in letzter Zeit so durch den Kopf gegangen ist«, begann Marc. »Die Polizei verdächtigt mich, Frau Reichert zusammen mit Heinen ermordet zu haben. Sicher weiß ich nur eines: Ich habe mit dem Mord nichts zu tun. Inwieweit Heinen in die Sache verwickelt ist, kann ich nicht sagen. Er ist weiterhin verschwunden und kann kein Licht in die Angelegenheit bringen. Also muss ich mich an die Menschen wenden, die noch da sind und die von Frau Reicherts Tod profitieren. Und da stößt man natürlich zuerst auf Sie. Das Problem war nur: Sie hatten zwar ein Motiv, aber keine Möglichkeit, Ihrer Tante einzureden, dass sie Krebs hat. Und Sie hätten die Speicherkarte mit der Aufnahme vom Tod Ihrer Tante nicht kopieren können. Diese Gelegenheit hatten nur Yvonne und Dr. Heinen. Im Gegensatz zu Ihnen hatten diese Personen aber kein ersichtliches Motiv. Bis ich festgestellt habe, dass Yvonnes Großvater stellvertretender Vorsitzender des Vereins wider das Vergessen der Aktion T4 , dem einen Erben, ist. Und bis ich wusste, dass Yvonne ein Verhältnis mit Ihnen, dem zweiten Erben, hat. Mit anderen Worten: Yvonne hatte auf einmal sogar zwei Motive, Johanna Reichert zu ermorden: Sie konnte mit einer einzigen Tat den Verein ihres Großvaters und ihren Geliebten reich machen. Was halten Sie von meiner Theorie?«
Auf Rottmanns Stirn und Oberlippe hatten sich feine Schweißperlen gebildet. Mit verzerrtem Gesicht starrte er Marc an. »Das ist infam«, stieß er schließlich hervor. »Eine infame Unterstellung! Ich werde Ihnen jetzt mal was erzählen. Ich bin Yvonne erst nach dem Tod meiner Tante nähergekommen, als ich den Nachlass ordnen wollte und deshalb öfter in die Villa kommen musste. Vorher bestand keinerlei Kontakt zwischen uns, deshalb kann ich auch nicht Yvonnes Komplize gewesen sein.«
»Sagen Sie!«
»Ja, das sage ich. Aber wenn Sie mir nicht glauben, können Sie gerne Yvonne fragen.«
Marc schnaubte. »Die wird mir aus naheliegenden Gründen kaum etwas anderes erzählen. Außerdem müssen Sie Yvonne vor Frau Reicherts Tod gekannt haben. Sie haben Ihre Tante schließlich besucht.«
»Ja, aber da habe ich Yvonne kaum wahrgenommen. Außerdem konnte Yvonne meiner Tante kaum einreden, sie habe Krebs. Das konnte nur Heinen.«
»Das ist richtig, aber Yvonne könnte mit Heinen zusammengearbeitet und ihn bei seinem Vorhaben unterstützt haben.«
»Das ist lächerlich. Yvonne würde einem anderen Menschen nie etwas Böses zufügen. Sie ist ja nicht mal in der Lage, eine Spinne zu töten. Wenn sie eine sieht, fängt sie sie mit einem Glas ein und trägt das Tier vor die Tür. Das habe ich schon mehrfach erlebt. Und so ein Mensch soll meine Tante systematisch in den Tod getrieben haben? Und mit mir hat das Ganze schon mal gar nichts zu tun. Aufgrund unseres Streits habe ich meine Tante erst vier Wochen vor ihrem Tod wieder sporadisch besucht. Das können Sie gerne alle Hausangestellten fragen, nicht nur Yvonne. Sie werden ja wohl kaum annehmen, dass die alle an dieser Verschwörung gegen meine Tante beteiligt waren. Und da ich von der Polizei weiß,
Weitere Kostenlose Bücher