Schwanengesang (German Edition)
nach ihm fragen. Die beiden können froh sein, wenn er mal ein paar Minuten mit ihnen telefoniert. Und ansonsten: Wenn ihm angeblich so viel an uns liegt, hätte er vielleicht das Geld seines Arbeitgebers nicht veruntreuen sollen. Dann wäre ihm auch die Kündigung erspart geblieben.«
Marc war wie vor den Kopf geschlagen. Er wechselte den Hörer in die andere Hand. »Was sagst du da?«, fragte er.
»Ja, rausgeschmissen haben sie ihn. Und er kann froh sein, dass sie ihn nicht auch noch angezeigt haben, aber die Fuldaer wollte wohl einen Skandal vermeiden. Natürlich hat sich die Sache trotzdem herumgesprochen. Gabriel hätte in Stuttgart beruflich nie wieder einen Fuß auf die Erde bekommen, das war auch der Grund, warum er nach Bielefeld zurückgegangen ist. Aber das hat er dir offenbar auch nicht erzählt.«
»Das hat er in der Tat nicht. Ich habe eher das Gefühl, dass wir von zwei verschiedenen Gabriel Wagners sprechen.«
Julia Wagner seufzte schwer. »Vielleicht tun wir das wirklich. Ich habe auch zwei Gabriel Wagners kennengelernt. Den, in den ich mich verliebt und den ich geheiratet habe, und den, zu dem er sich seit einigen Jahren entwickelt hat.«
Marc schüttelte unwillkürlich den Kopf. »Ich weiß beim besten Willen nicht, wovon du redest.«
»Gabriel hat sich verändert, sogar sehr verändert. Irgendwas ist in seinem Kopf passiert. Vielleicht eine Art Midlife-Crisis, aber in verschärfter Form. Es fing damit an, dass er nur noch stumm bei uns zu Hause auf dem Sofa gesessen und sich für nichts mehr interessiert hat. Vielleicht waren wir ihm nicht mehr gut genug, ich weiß es nicht. Dann ist er vollkommen abgedreht, anders kann ich es nicht nennen. Er hatte auf einmal neue Freunde, alle mindestens zehn, zwanzig Jahre jünger als er und alle mit viel Geld. Um mit ihnen mithalten zu können, hat er sich einen Sportwagen und zerrissene Jeans gekauft, hat sich eine Sonnenbrille in die gegelten Haare geschoben und ist mit denen nächtelang um die Häuser gezogen. Er hat sich auf einmal benommen wie ein Lothar Matthäus für Arme und das Geld mit vollen Händen zum Fenster rausgeworfen. Mir hat er davon natürlich nichts erzählt, ich habe erst etwas gemerkt, als das Bankkonto schon völlig überzogen war und ich auch mit der Kreditkarte nicht mehr zahlen konnte. Da habe ich Gabriel zur Rede gestellt, aber er hat natürlich abgewiegelt. Er habe ›Finanzgeschäfte‹ getätigt, die sich erst einmal amortisieren müssten. Das sei nur eine kurzfristige Lücke, bald würden wir im Geld schwimmen, aber das war natürlich alles heiße Luft.« Sie hielt erneut inne und als sie weitersprach, klang sie traurig. »Ich glaube, er hat auch Drogen genommen. Nein, ich bin mir sogar sicher. Ich habe eines Tages beim Aufräumen im Keller ein Plastiktütchen mit weißem Pulver gefunden. Als ich Gabriel darauf angesprochen habe, ist er fast ausgeflippt. Zuerst hat er behauptet, es seien keine Drogen, dann, er habe das nur für einen Freund aufbewahrt. Ich habe ihm gesagt, das sei mir egal, ich wolle das Zeug nicht in der Nähe meiner Kinder haben. Wenn ich noch einmal etwas finden würde, würde ich es zur Polizei bringen. Von dem Tag an war Ruhe. Aber ich fürchte, er ist nur vorsichtiger geworden.«
Marc wusste nicht, was er sagen sollte. »Das habe ich nicht gewusst«, brachte er nur hervor. »Trotzdem hättet ihr es vielleicht schaffen können, wenn ihr mit ihm nach Bielefeld gekommen wärt.«
»Vielleicht hätten wir das. Ich habe Gabriel wirklich geliebt. Und ich wäre auch bereit gewesen, ihn bei seinen Problemen zu unterstützen. Schließlich hat er schon immer zum Leichtsinn geneigt, auch als ich ihn kennengelernt habe. Aber was ich ihm nicht verzeihen konnte, waren seine dauernden Frauengeschichten.«
»Frauengeschichten?« Marc schwirrte der Kopf und er hatte das Gefühl, als würde er seinen Freund überhaupt nicht mehr kennen.
»Es begann mit ominösen Anrufen, bei denen sich der Anrufer angeblich jedes Mal verwählt hatte. Wenn Gabriel abends nach Hause kam, stank er nach Rauch und Parfüm. Natürlich hat er alles abgestritten, aber ich war irgendwann nicht mehr bereit, mich verarschen zu lassen. Deshalb habe ich ihn vor die Tür gesetzt.«
Marc wusste nicht, was er denken sollte. Natürlich kannte er Gabriels Version der Geschichte noch nicht. Andererseits gab es keinen Grund, Julia nicht zu glauben.
»Ich danke dir für deine Offenheit«, sagte er. »Ich hatte keine Ahnung, wie es wirklich um ihn
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