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Schwarz-Indien

Schwarz-Indien

Titel: Schwarz-Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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er den bisherigen Mißerfolg seiner Bemühungen
    überlegte, freilich nur schwerlich.
    Ähnliche Attentate auf die Familie Ford, wie vor der Er-
    schließung New Aberfoyles, hatten sich nicht wiederholt. –
    So gestalteten sich die Verhältnisse in diesem fremdar-
    tigen Gebiet.
    — 169 —
    Man braucht auch nicht zu glauben, daß es selbst zu der
    Zeit, als erst die Anfänge von Coal City emporwuchsen, an
    jeder Zerstreuung in dieser unterirdischen Ortschaft gefehlt
    habe und das Leben dort gar zu einförmig gewesen sei.
    Gewiß nicht. Die Bevölkerung dort, mit ihrem gleich-
    artigen Interesse, mit demselben Geschmack und dem fast
    gleichmäßig herrschenden Wohlstand, bildete eigentlich
    nur eine große Familie. Alle kannten sich, standen sich stets
    nah, und dabei erwachte das Verlangen, nach Vergnügun-
    gen in der Außenwelt zu suchen, nur sehr selten.
    Jeden Sonntag veranstaltete man Spaziergänge im Koh-
    lenbergwerk, Exkursionen auf den Seen und Teichen, die zu
    ebenso vielen angenehmen Zerstreuungen wurden.
    Häufig erklangen auch die Töne des Dudelsacks an den
    Ufern des Malcolm-Sees. Dann eilten die Schotten auf den
    Ruf ihres Nationalinstruments herbei. Bald wurde ein Tänz-
    chen eröffnet, und an solchen Festtagen spielte Jack Ryan, in
    der kleidsamen Tracht der Hochländer, den König des Festes.
    All das bewies, wie Simon Ford gern behauptete, daß
    Coal City schon mit der Hauptstadt von Schottland riva-
    lisieren konnte; jener Stadt, die der Kälte des Winters, der
    Hitze des Sommers, der Unbill einer manchmal abscheu-
    lichen Witterung ausgesetzt war und durch ihre vom Rauch
    der vielen Schornsteine verpestete Atmosphäre den Beina-
    men des ›alten Rauchfangs‹* gewiß rechtfertigte.
    * Auld Reeky, Spitzname für das alte Edinburgh.

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    — 171 —
    14. KAPITEL
    Am letzten Fädchen hängend
    Jetzt, nach Befriedigung ihrer innigsten Wünsche, fühlte
    sich Simon Fords Familie wirklich glücklich. An Harry al-
    lein, der schon von Natur einen etwas verschlossenen Cha-
    rakter besaß, hätte man beobachten können, daß er mehr
    und mehr ›in sich gekehrt‹ blieb, wie Madge zu sagen pflegte.
    Selbst Jack Ryan gelang es trotz seiner ›ansteckenden‹ guten
    Laune nicht, ihn umzuwandeln.
    Eines Sonntags im Monat Juni gingen die beiden Freun-
    de am Ufer des Malcolm-Sees spazieren. Coal City feierte.
    Draußen tobte ein stürmisches Wetter. Heftige Regengüsse
    entwickelten aus der erhitzten Erde einen warmen, fast er-
    stickenden Brodem.
    In Coal City dagegen herrschte die tiefste Ruhe, die an-
    genehmste Temperatur, und gab es weder Regen noch Wind.
    Hier verriet nichts den Kampf der Elemente in der Ober-
    welt. Aus Stirling und dessen Umgebung strömten Spa-
    ziergänger herbei, um sich an der angenehmen Frische des
    Kohlenbergwerks zu erquicken.
    Die elektrischen Apparate übergossen alles mit einem
    Lichtglanz, um den es die für einen Sonntag etwas gar zu
    nebelverhüllte Sonne Britanniens beneidet hätte.
    Jack Ryan machte seinen Kameraden Harry auf den au-
    ßerordentlichen Andrang von Besuchern aufmerksam; die-
    ser nahm seine Worte aber nur mit sehr geteilter Aufmerk-
    samkeit auf.
    — 172 —
    »Sieh doch, Harry«, begann er, »welches Gedränge von
    Gästen! Komm, Freund! Verscheuch deine trüben Gedan-
    ken! Du wirst die Leute von oben noch auf den Gedanken
    bringen, daß man sie um ihr Schicksal beneiden könne.«
    »Lieber Jack«, antwortete Harry, »sorg dich nicht um
    mich! Du bist ja lustig für zwei, das genügt schon.«
    »Hol’ mich der Teufel!« versetzte Jack, »wenn deine
    Schwermut mich nicht zuletzt mit ansteckt! Meine Augen
    werden trüber, die Lippen pressen sich zusammen, das La-
    chen bleibt mir in der Kehle stecken und zum Singen fehlt
    mir das Gedächtnis. Sprich, Harry, was fehlt dir?«
    »Du weißt es ja, Jack.«
    »Noch immer dieser Gedanke ...«
    »Noch immer.«
    »Du armer Harry«, erwiderte Jack Ryan achselzuckend,
    »wenn du, wie ich, all das den Berggeistern ankreiden wür-
    dest, wärst du weit ruhiger.«
    »Du weißt wohl, Jack, daß diese Gnomen und Feen nur
    in deiner Einbildung existieren und daß sich seit Wieder-
    aufnahme der Arbeiten kein einziger mehr in New Aber-
    foyle hat blicken lassen.«
    »Zugegeben, Harry! Doch wenn sich die Berggeister
    nicht mehr zeigen, so scheint mir nur, zeigen sich die We-
    sen, denen du alles dieses zuschreiben willst, desto weni-
    ger.«
    »Ich werde sie wiederzufinden wissen, Jack.«
    »O Harry!

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