Schwarze Blumen: Thriller (German Edition)
raffiniert geglättet, dass man sie praktisch nicht sehen konnte.
Sie massierte sich das Gesicht.
Ich weiß nicht, wer ich bin.
Das Album zeigte ein Konglomerat von zwei Mädchen – und vielleicht war das ja auch richtig, vielleicht war sie ein Gemisch aus beiden. Auf eine Weise war sie tatsächlich das kleine Mädchen, das ihr Vater auf dem ersten Foto so sehr liebte, oder zumindest hätte sie es sein können. Andererseits war sie auch die erwachsene Frau, die Gewalt und Tod mit nüchternem Blick ertragen konnte, als einen Vorgang, bei dem sich eine Sache in eine andere verwandelt. Als »Charlotte« geboren und dann in jeder Hinsicht außer dem Namen, und sogar der war fast identisch, als Anna aufgezogen. Ihr Vater hatte ihr Geschichten als Wahrheit und Wahrheiten als Geschichten erzählt, und jetzt waren beide in ihr so unlösbar miteinander verwoben, dass es jedem vorgegebenen Muster trotzte.
Er hatte das alles in bester, selbstloser Absicht getan. Das sagte sie sich immer wieder. Das – und um seine eigenen Wunden zu heilen. Und Hannahs. Er hatte den Horror ihrer frühen Kindheit genommen und vor ihr verborgen; sie beschützt und aus einem verletzten, ängstlichen kleinen Mädchen eine Frau gemacht, der nichts unmöglich schien.
Du bist DS Hannah Price. Tochter von DS Colin Price.
Nur dass sie es nicht war.
Egal, wie oft sie diese Worte wiederholte, würden sie ihr nicht mehr helfen. Die Losung, die ihr Vater ihr mitgegeben hatte, sollte ihr ein Gefühl der Sicherheit geben, als könnte ihr nichts passieren, doch sie waren gelogen. Im Moment konnte sie sich an ihre frühen Jahre auf dem Bauernhof nicht erinnern: Das Einzige, was ihr dazu einfiel, war die Geschichte, die er ihr erzählt hatte, und die vertraute, nunmehr wachsende Angst. Doch die Geschichte war gelogen, sie hatte ausgedient. Nichts konnte verhindern, dass die Angst jetzt überhandnahm. Das Leben von Hannah Price ruhte auf den Grundfesten, die ihr Vater gelegt hatte, und die waren jetzt zerstört.
Sie klappte das Album zu, stützte die Arme zu beiden Seiten auf den Tisch und legte die Hände vors Gesicht.
Und war kurz vor dem Zusammenbruch.
In dem Moment klingelte ihr Handy. Sie ließ es stecken. Es dauerte nicht lange, und es piepste, um anzuzeigen, dass sie eine Voicemail empfangen hatte, und diesmal nahm sie es heraus und hörte sich die Nachricht an.
»DS Price? Hier spricht Simon aus dem Büro. Ich hab die Akten jetzt da, und … ich weiß nicht, vielleicht sind Sie ja, wie Sie sagten, auf dem Weg ins Büro, aber falls nicht, könnten Sie mich vielleicht zurückrufen? Es geht um District Chief Inspector Barnes. Ich müsste Sie wirklich sprechen.«
Piep. Simon war einer ihrer Sergeants. Ein paar Sekunden starrte sie auf das Handy, ohne einen klaren Gedanken zu fassen, ohne zu wissen, was sie machen sollte. Im Moment fühlte sie sich außerstande, über den Fall zu reden, doch wenn es um Barnes ging, sollte sie sich melden. Ihr fielen seine Worte wieder ein. Eine letzte Sache habe ich noch zu erledigen.
Was hatte er getan?
Sie zögerte noch einen kurzen Moment, dann rief sie im Büro an.
»Simon«, sagte sie. »Ich bin’s.«
»Hi. Danke, dass Sie so schnell zurückrufen. Die Sache ist … es ist schon ein bisschen seltsam. Haben Sie DCI Barnes heute schon gesehen?«
»Nein.« Die Lüge ging ihr glatt über die Lippen. Sie hatte keine Ahnung, ob sie sich später damit quälen würde. »Wieso? Und was heißt ›schon ein bisschen seltsam‹, Simon? Geht’s ein bisschen präziser?«
»Tut mir leid, Ma’am. Also, ein Zeuge hat vor einigen Stunden gemeldet, er hätte beobachtet, wie jemand von der Klippe gefallen ist. Möglicherweise ein Springer.«
Hannah wurde eiskalt.
Und es gibt einen Ausweg. Es wird Sie nicht mit der Wahrheit verschonen und mich nicht schützen … aber es könnte wenigstens den Ruf Ihres Vaters bewahren. Auch Barnes’ Name zog sich wie ein roter Faden durch die Akte über Dennison. Er war befragt worden. Als Tatverdächtiger.
Ich gehe nicht ins Gefängnis, Hannah.
Sie zwang sich, die naheliegende Frage zu stellen.
»Und was hat das mit Barnes zu tun?«
»Na ja, sein Wagen steht auf dem Parkplatz da oben.« Der Sergeant lachte nervös, als könnte er das, was er da nahelegte, selbst nicht glauben. »Er ist abgeschlossen und so, aber er hat ihn da stehen gelassen. Ich hab versucht, ihn unter verschiedenen Nummern zu erreichen, aber er geht nicht ran.«
Ich musste nur sicherstellen, dass Sie
Weitere Kostenlose Bücher