Schwarze Blumen: Thriller (German Edition)
die untere Hälfte seines Gesichts hinter einer weichen Plastikmaske verschwand, die über einen Schlauch mit einem an der Wand befestigten Zylinder verbunden war. Sein Kopf lag ein wenig nach hinten gekippt auf dem Kissen, so dass sein Hals entblößt war; die Haut hing daran schlaff und faltig herunter. Sein Adamsapfel war so fest wie ein Fingerknöchel, die Sehnen links und rechts davon waren so straff wie Kabel gespannt.
Er war nicht tot – das bewiesen die stetig pulsierenden Lichtlinien, die auf dem Monitor neben dem Bett seinen Herzrhythmus nachzeichneten –, doch so wie er reglos, mit wächserner, gelblicher Haut vor mir lag, sah er einer Leiche ähnlicher als einem lebenden Menschen.
Außerdem war er viel kleiner und ausgemergelter, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Wegen des Buchs hatte ich an einen kräftigen, furchterregenden Mann gedacht und nicht mit diesem gebrechlichen Wesen gerechnet. Natürlich würde unter diesen Umständen jeder, dessen Leben nur noch an Beuteln mit Nährlösung und Schläuchen in den Adern hing, gebrechlich wirken, aber trotzdem. Es war schwer zu glauben, dass dies hier das Monster war, über das ich gelesen hatte. Er sah aus wie … nichts.
Aber genau so sehen Monster eben aus, dachte ich.
So wie jeder andere auch.
Unwillkürlich ballte ich die ganze Zeit die Hände zur Faust – ballte und öffnete sie, ballte sie wieder.
»Wo ist sie?«, flüsterte ich.
Ein Augenlid zuckte kaum merklich.
Ich trat einen Schritt näher heran, um meine Frage zu wiederholen, als hinter mir die Tür aufging. Ich zuckte zurück, drehte mich um und blickte einer Frau im mittleren Alter in hellblauer OP-Kleidung ins Gesicht.
»Hallo.« Sie lächelte und reichte mir die Hand.
Ich schüttelte sie.
»Dr. Matheson?«
»Ja. Danke, dass Sie gekommen sind – dass Sie so schnell gekommen sind.«
»Ich wusste nicht, wie viel Zeit ihm noch bleibt.«
»Ach so. Nun, für den Augenblick ist er stabil.« Matheson zog die Tür zu, trat um mich herum ans Bett und warf einen Blick auf ihren Patienten. »Genaueres über die Schädigung seines Herzens können wir erst sagen, wenn wir die Ergebnisse der Bluttests haben; bis dahin bekommt er Schmerz- und Blutgerinnungsmittel, und wir hydratisieren ihn. Behalten ihn im Auge. Nicht wahr, mein Lieber?«
Letzteres richtete sich in warmherzigem Ton an den alten Mann. Mein Lieber. Natürlich hatte Matheson keine Ahnung, mit was für einem Menschen sie es bei diesem Patienten zu tun hatte.
»Ich nehme an, Sie kennen ihn?«
Ich hatte diese Situation vorhergesehen und mir etwas zurechtgelegt. Ich konnte ihm keinen falschen Namen geben, da ich annahm, dass sie die Patientendaten auf Computer speicherten, doch da er nun mal im Besitz von Allys Handy gewesen war, würde ich unnötig Fragen aufwerfen, wenn ich behauptete, ihn überhaupt nicht zu kennen. Ich würde jetzt die Polizei rufen müssen – was sonst –, doch ich hielt es für keine gute Idee, wenn Dr. Matheson die erste Person war, der ich mich anvertraute und alles erklärte.
»Gewissermaßen«, sagte ich. »Er ist der Onkel meiner Freundin. Mit Vornamen heißt er John, seinen Nachnamen weiß ich nicht. Die Familie hat untereinander wenig Kontakt. Ich wollte sie erreichen, aber sie ist im Moment nicht zu Hause. Und offensichtlich hatte er aus irgendeinem Grund ihr Handy dabei.«
»Wissen Sie, ob er an Demenz leidet?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste.«
»Ich frage nur wegen seines Verhaltens, bevor der Krankenwagen kam. Als er Sachen weggeworfen hat. Er wirkte auf jeden Fall sehr verwirrt und desorientiert.«
Ja, dachte ich, so musste es für die Leute ausgesehen haben: ein alter Mann, der sich seltsam benimmt, nicht weiß, was er tut. Aber so war es in Wahrheit natürlich nicht. Nein, als er unterwegs, weit weg von zu Hause fürchten musste, vor aller Augen zu sterben, hatte er versucht, alles zu vernichten, was die Polizei zu seinem Unterschlupf führen konnte. Damit sie dieses Haus nicht finden und entdecken konnten, was er dort zu verbergen hatte.
Er wollte seine Familie schützen.
»Ich weiß nicht«, sagte ich.
»Wissen Sie, was er in Thornton wollte?«
»Nein. Konnten Sie ihm denn keine Fragen stellen?«
»Er war bis jetzt nur halb bei Bewusstsein. Und nur ab und zu.« Sie blickte wieder zu ihm hinunter. »Im Moment lass ich ihn lieber zur Ruhe kommen. Ich hab aus reiner Neugier gefragt.«
Ich nickte. Ich war ebenfalls neugierig. Nicht so sehr wegen seiner
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