Schwarze Blumen: Thriller (German Edition)
sie sich rechtzeitig zwischen den Bäumen versteckt hatten. Sie hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Das war das Zweite, was er bedauerte. Cartwright hoffte zu bekommen, was er sich in dieser Welt am meisten wünschte, bevor dieses gewöhnliche Sterben zu Ende war. Selbst nach all den Jahren wünschte er sich einfach nur seine Tochter dorthin zurück, wo sie hingehörte.
Erst einmal hatte er das, was gerade auf dem Tisch stand. Zu den Vorzügen einer klaren Sicht der Dinge gehörte es, den vielfältigen Widerhall zu hören, den das Universum, offenbar nur zu seinem eigenen Vergnügen, schuf. Als er las, was er vor sich hatte, war Cartwright bewusst, dass auch Menschen – ob es ihnen nun klar war oder nicht – sich auf diese Weise wechselseitig in Schwingung versetzen konnten und dass es Freude bereitete, den Glockenklang eines glücklichen Zusammenspiels zu hören und selber dazu beizutragen. Genau so wie das Universum spielte auch er.
Er las die Geschichte noch einmal.
Zwerge. Wechselbälger.
Cartwright gefiel die Geschichte, und ihm gefiel die Idee, sie zum Leben zu erwecken – allein schon, weil die Erzählung selbst ihm dabei helfen konnte. Und das Beste von allem? Sein Sohn bräuchte sich nicht einmal zu vermummen. Auch so würde er den Leuten einen gehörigen Schrecken einjagen.
5
M eine Wohnung war zu klein, um darin allzu viele Bücher unterzubringen, und so besaß ich nicht von jedem Werk meines Vaters ein Exemplar. Von Kummerpuppen hatte ich eins. Wie alle meine Bücher befand es sich auf einem Stapel in einem Fach meines Kleiderschranks. Ich zog es heraus und schlug es behutsam an der Seite mit der Widmung vorne auf. Der Rücken knirschte: ein leises, angenehmes Geräusch. Es erinnerte mich an einen alten Mann, der sich auf Lederpolster setzt.
Laura gewidmet.
Ich möchte niemals ohne dich sein. Ich sage dir das jeden Tag persönlich. Hier steht es noch einmal gedruckt.
Ich registrierte die Gegenwartsform, obwohl ich wusste, dass meine Mutter gestorben war, bevor das Buch herauskam, so dass sie es nie würde lesen können. Dennoch hatte er es an sie gerichtet, als ob sie ihn hören könnte und immer noch bei ihm wäre. Ich sage dir das jeden Tag persönlich. Ich glaubte ihm. Mein Vater hatte die Worte wiederholt, die ihn bestimmten, und es zählte nicht, dass der Mensch, dem sie galten, sie nicht mehr hören konnte.
Natürlich hat ihn Mums Tod schwer getroffen, aber er wird das in seinen Büchern kanalisieren.
Was ich an dem Abend am Telefon zu Marsha gesagt hatte, kam mir jetzt so grenzenlos dumm vor. Abgesehen von den Schuldgefühlen, die es mir machte, fühlte ich mich wie ein Vollidiot. Als Kind hatte ich all seine romantischen Vorstellungen über die Macht des Schreibens in mich aufgesogen und als Erwachsener angefangen, mein Leben darauf zu gründen. Doch als es hart auf hart kam, hatte sich gezeigt, wie vollkommen leer und illusorisch solche Ideen waren. Er wird es in seinen Büchern kanalisieren. Ach ja? Schreiben war eben nur Schreiben und keine Magie. Und so kam ich mir jetzt auch naiv vor, als hätte ich ein Leben lang an die Zahnfee geglaubt.
Ich schlug das Buch zu und strich einmal behutsam über den Deckel, als wollte ich es versiegeln. Kummerpuppen. Die Geschichte eines Mannes, der Angst davor hatte, allein zu leben und zu sterben, dessen Frau, als er selbst im Sterben lag, bei ihm war, um ihm die Hand zu halten. Ich möchte nie ohne dich sein, hatte mein Vater geschrieben. Es kam mir gar nicht mal so abwegig vor zu hoffen, dass er es vielleicht in diesen letzten Momenten auch nicht gewesen war.
»Hey.«
Ich wäre beinahe zusammengefahren, als Ally ins Zimmer trat. Ich hatte nicht gehört, wie die Haustür aufging; der Widerhall des Donnerns und Dröhnens aus der Wohnung unter mir hatte das Geräusch geschluckt. Ich hatte nicht einmal gemerkt, dass es nach fünf war, für normale Menschen war der Arbeitstag vorbei. Die Zeit war einfach so … verflogen. Trotz allem tat sie das. Wenn etwas Schreckliches geschieht, hat man irgendwie die Vorstellung, alles müsste – aus schierem Respekt – langsamer gehen, doch natürlich läuft es nicht so. Um mich herum verstrichen die Tage einfach.
»Hey.« Ich legte das Buch weg. »Wie war’s heute bei dir?«
»Scheiße.«
Sie ließ ihre Handtasche von der Schulter aufs Bett gleiten und seufzte leise. Ich lehnte mich vor meinem Laptop zurück, und im nächsten Moment kam sie herüber und schlang mir von hinten die Arme um die
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