Schwarze Blumen: Thriller (German Edition)
verlieren. Im Moment konnte sie nur gerade eben die Gesichter der Leute ausmachen, die sich ihr draußen vor dem Southerton näherten, und die Profile derjenigen, die das Hotel betraten und es wieder verließen.
Als das hier letzte Woche live gewesen war, hatte sich Dawson drinnen befunden.
»Was mitbringen?«
Diesmal drehte sie sich doch um, auch wenn sie es im selben Moment bereute. Ketterick stand auf, lehnte sich weit zurück und räkelte sich einmal kräftig.
»Nur mal eben für kleine Jungs.« Er hörte mit den Streckübungen auf und deutete mit dem Daumen auf die Tür. »Komm auf dem Weg am Getränkeautomaten vorbei. Soll ich Ihnen was mitbringen?«
»Nein danke, keinen Durst.«
»Gut. Rufen Sie einfach, wenn der Dritte Weltkrieg ausbricht.« Er zwinkerte. »Irgendwie glaube ich nicht, dass es zum Schlimmsten kommt.«
»Ja, ich halte die Stellung.«
Die Tür schnappte hinter ihm zu. Hannah war sauer und wandte sich wieder dem Monitor zu. Sie griff nach dem Eingabegerät, um zurückzuspulen, aber dann …
Ah, da bist du ja.
Sie schaltete die Geschwindigkeit auf eins herunter und beobachtete, wie Christopher Dawson aus dem Hotel kam. Auf dem Überwachungsfilm erschien er als winzige Figur, doch es gab keinen Zweifel, dass er es war. Er trug die Kleider, in denen sie ihn gefunden hatten: den Mantel; den Pullover mit V-Ausschnitt, darunter Hemd und Krawatte. Denkbar altmodisch, das Ganze. Unterhalb der Treppe zum Hotel blieb er stehen. Hannah zoomte die Aufnahme so nah wie möglich heran, hörte auf, als seine Gestalt den Rahmen ausfüllte, und beobachtete, wie er sich nach links und rechts umsah.
Suchte er jemanden?
Eine dicke, schwarze Linie führte rund um seine Schulter. Sie wartete, bis er sich umdrehte … wartete … und da war es. Eine schwarze Tasche auf seinem Rücken.
Der fehlende Laptop? Wahrscheinlich.
Also: Das hier war vermutlich kurz bevor er zum Viadukt aufbrach. Sie war ein wenig aufgeregt – und genau da verließ Dawson den Aufnahmewinkel der Kamera.
Mist.
Die Scrolltaste an der Konsole ratterte, als sie den Zoom zurückfuhr, um den Bildausschnitt zu erweitern – und da war er wieder und überquerte die Straße. Er begab sich – offensichtlich zielstrebig – zum linken Rand des Bildschirms und verschwand.
Frustriert scrollte Hannah erneut. Es war eine zwecklose Geste, da es sich hier nicht um laufende Aufnahmen handelte. Es war, wie es war: Die Kamera hatte nun mal in eine bestimmte Richtung gezeigt, und daran ließ sich jetzt nichts mehr ändern. Sie wollte gerade eine der anderen Sequenzen probieren, als sie sich an seinen Wagen erinnerte. Sie hätte sich in den Hintern treten können: Immerhin war er zum Viadukt gefahren. Und der Eingang zum Parkplatz, direkt hinter dem Hotel, lag im Aufnahmebereich der Kamera.
Sie beobachtete die Strichmännchen, die zufällig und geräuschlos durch ihren Ausschnitt liefen, und wartete. Ein, zwei Minuten später erschien Christopher Dawson. Er kam über die Straße zurück zum Hotel. Doch jetzt war jemand an seiner Seite.
Hannah zoomte die Gestalt näher heran.
Eine Frau.
Sie lief aus Hannahs Blickwinkel hinter Dawson, und so war von ihr nicht allzu viel zu erkennen: Hannah erkannte letztlich nur, dass sie einen bauschigen schwarzen Mantel und Jeans trug. Sie hatte dünne Beine, dunkles Haar und war ein wenig größer als Dawson. Ihr Alter: schwer zu schätzen. Eines allerdings war nicht zu übersehen – dass die beiden sich miteinander unterhielten und im Gehen einander die Köpfe zuwandten. Dawson hatte die Straße überquert, um ihr entgegenzulaufen, und jetzt kamen sie beide zurück.
Hannah beobachtete, wie sie seitlich am Southerton vorbeigingen und dann verschwanden. Sie spulte den Film wieder schneller vor. Wenig später rollte Dawsons ramponierter alter Escort vom Parkplatz, wendete und verschwand aus dem Bild.
Diesmal war sie sich sicher, dass Dawson nicht zurückkommen würde.
7
D er vertraute Flur im Haus meines Vaters war schummrig und grau.
Einen Moment stand ich auf dem obersten Treppenabsatz und ließ die gähnende Leere auf mich wirken. Sie war drückender als beim letzten Mal. Seit meinem letzten Besuch war niemand mehr da gewesen; bis zu meinem nächsten würde auch niemand kommen, und meine Gegenwart reichte offenbar nicht, um einen Eindruck zu hinterlassen.
Ich starrte in die Schatten am Ende – horchte in die Stille, die mir als Kind solche Angst bereitet hatte, mir jetzt dagegen nicht mehr so
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