Schwarze Fluten - Roman
Sonnenlicht erstrahlte, aber nicht mehr so hell wie vorher.
Kenny richtete die Uzi auf den Boden, vielleicht aber auch auf meine Füße. »Sag mal, Kleiner, wie heißt du eigentlich?«, fragte er.
Ich merkte, wie ich mich leicht verspannte, und richtete die Aufmerksamkeit wieder voll und ganz auf den Koloss vor mir, den ich definitiv noch nicht für mich gewonnen hatte.
»Hören Sie«, sagte ich, »glauben Sie bitte nicht, ich will Sie veräppeln, denn das ist mein richtiger Name, auch wenn er noch so komisch klingt. Mein Name ist Odd. Odd Thomas.«
»Der zweite Teil klingt ganz normal.«
»Danke, Sir.«
»Und, weißt du, Odd ist nicht das Schlimmste, was Eltern ihren Kindern antun können. Eltern können dich total ruinieren, Mann. Meine Eltern waren die übelsten … «
Um Kennys Charakterisierung seiner Eltern zu vervollständigen, müsst ihr euch mehrere Ausdrücke in Erinnerung rufen, die man im höflichen Umgang nie verwenden würde und die Inzest, Selbstbefriedigung, massive Verstöße gegen das Tierschutzgesetz, erotische Besessenheit von für andere Zwecke vorgesehenen Objekten und eine ausgesprochen bizarre Verwendung der Zunge umschreiben.
Ach, vergesst es lieber. Wie Kenny seine Eltern beschrieb, war einzigartig in der bewegten Geschichte der Vulgärsprache. Egal, wie lange ihr über das Rätsel nachdenkt, das ich euch vorgelegt habe, eure Lösung wäre doch nur eine blasse Annäherung an das, was ich zu hören bekommen hatte.
»Meine Eltern heißen Emmental«, fuhr Kenny fort. »So hab ich früher natürlich auch geheißen. Na, woran denkst du dabei?«
Obwohl wir scheinbar drauf und dran waren, die Grundlagen einer wunderbaren Freundschaft zu schaffen, argwöhnte ich, dass sich die Lage blitzschnell ändern konnte. Wenn ich zugab, woran ich dachte, brannte Kenny womöglich die Sicherung durch.
Aber er hatte die Frage nun mal gestellt. »Na ja, Sir«, sagte ich, »das hört sich irgendwie deutsch an. Vielleicht auch österreichisch. Oder schweizerisch? Ich kenne mich da nicht so aus.«
»Tu nicht so scheinheilig«, sagte er. »Das ist der Ort, wo man Emmentaler macht. Den Käse mit den Löchern! « Das letzte Wort knurrte er so laut, dass die Fensterscheiben klirrten.
Ich wagte einen Seitenblick nach links und sah, dass durch die Westfenster mehr und rötlicheres Licht fiel als noch vor wenigen Minuten.
»Weißt du, was für einen Vornamen sie mir gegeben haben?«, fragte Kenny, und zwar so, dass aus der Frage eine Drohung wurde.
Ich sah ihm wieder ins Gesicht und fand seinen Blick immer noch äußerst beunruhigend. »Kenny war es wohl nicht, stimmt’s?«
Er schloss die Augen und holte tief Luft. Dabei kniff er das Gesicht zusammen, als bereitete er sich auf ein schmerzhaftes Geständnis vor.
Ich überlegte einen Augenblick, ob ich zum Tor flitzen sollte, fürchtete jedoch, damit zu demonstrieren, dass ich mein Freundschaftsangebot doch nicht ernst meinte. Worauf der enttäuschte Kenny eventuell auf die Idee gekommen wäre, mir in den Rücken zu schießen.
Die anderen Bewohner von Roseland waren zwar alle mehr oder weniger exzentrisch, versuchten jedoch immerhin, einen Anschein von Normalität zu wahren. Darum kümmerte sich dieser groteske Koloss, dieser wandelnde Waffenschrank mit seinen Hyänentattoos auf den Armen jedoch nicht die Bohne. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass er mit den anderen Mitgliedern der Wachmannschaft, die ich kennengelernt hatte, zusammenarbeitete. Es war also anzunehmen, dass er gar nicht dazugehörte, weshalb man ihm absolut nicht über den Weg trauen konnte.
Er holte noch einmal tief Luft, pustete sie aus, öffnete die Augen und sagte: »Mein Vorname war Edwin. Die haben mich doch tatsächlich Edwin Emmental genannt.«
»Das war aber wirklich grausam, Sir.«
»Diese verfluchten Vollidioten«, sagte er, was offenbar eine weniger unfreundliche Bezeichnung für seine Eltern war. »Man hat mich schon am ersten Tag im Kindergarten damit aufgezogen, die kleinen Scheißer konnten nicht mal bis zur Schule warten. Als ich achtzehn geworden bin, hab ich meinen Namen sofort ändern lassen.«
Fast hätte ich gesagt: In Kenny Camembert? , hielt jedoch glücklicherweise den Mund.
»In Kenneth Randolph Fitzgerald Mountbatten«, sagte er, wobei er den Namen mit dem Pathos eines britischen Theaterschauspielers von der Zunge rollen ließ.
»Eindrucksvoll«, bemerkte ich, »und ausgesprochen passend, möchte ich sagen.«
Fast wäre er vor Stolz errötet. »Das sind
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