Schwarze Rosen
… Wir müssen weggehen!« Beim letzten Satz war sie ins Deutsche verfallen. Er blickte zwischen ihrem erregten Gesicht und dem Blatt hin und her und konnte sich denken, was darauf stand.
»Lies das, Michele!« Sie hielt ihm die Seite unter die Nase.
Ferrara sagte noch immer nichts, runzelte nur die Stirn. Er verstand sehr gut, was seine Frau empfand. Er las es in ihren Augen, diesen grünen, so ausdrucksvollen Augen. Nachdem er seine Brille aufgesetzt hatte, beugte er sich über das Blatt, ohne es anzufassen.
Nur wenige Worte.
Höchstwahrscheinlich am Computer getippt.
wir kommen immer näher. nicht mehr lange, und ihr letztes stündlein hat geschlagen oder das ihrer …
In der Zeile darunter befanden sich weitere Auslassungspunkte.
Oder das Ihrer Frau, ergänzte er im Geiste, während er mit den Zähnen knirschte und es ihm kalt über den Rücken lief.
›Wir‹?
Also waren es diesmal mehrere Personen, die es auf ihn abgesehen hatten.
Aber wer?
Und warum diese Drohung?
Sollte die Vergangenheit sich tatsächlich wiederholen? Petra hatte es geahnt und war kurz davor, zu explodieren wie eine Ladung TNT. Wie eines der Feuerwerke, das die kalabrische Mafia nächtens auf Baustellen und vor Geschäften und Lokalen abfackelte.
»Das hat in einem weißen, unfrankierten Umschlag gesteckt. Jemand ist in den Hausflur eingedrungen und hat ihn in unseren Briefkasten geworfen, und zwar nachdem die Postbotin da war«, fuhr Petra etwas sanfter fort. »Ich habe ihn gefunden, als ich vorhin nach Hause gekommen bin; ich war in der Reinigung.«
»Und der Umschlag?«
»Liegt auf deinem Schreibtisch. Ich habe ihn angefasst, um ihn herauszuholen, aber als ich gemerkt habe, dass er weder Briefmarke und Stempel noch Absender trug, habe ich das hier übergezogen.« Sie hob ihre Hand, die in einem Latexhandschuh steckte.
Er musste unwillkürlich lächeln. »Gut gemacht, Schatz.«
Petra stellte ihm selten Fragen, doch diesmal war etwas direkt bei ihnen zu Hause passiert, und deshalb ließ sie nichtlocker. »Warum, Michele? Was wollen die von dir? Wer sind diese Leute?«
Ferrara überlegte einen Augenblick und versuchte, sich seine eigene Besorgnis nicht anmerken zu lassen. »Beruhige dich, Petra, ich werde schon dahinterkommen.« Dabei wusste er genau, dass sie wahrscheinlich keine Fingerabdrücke auf Bogen und Umschlag finden würden. Er nahm seine Frau in die Arme und drückte sie an sich. Dann küsste er sie auf Wange und Mund. Der zweite wurde ein sehr langer Kuss. Petra zitterte immer noch ein bisschen, und ihre Augen glänzten.
»Michele, wenn man dich jetzt schon wieder bedroht, musst du dich entweder nach Rom versetzen lassen, oder ich gehe zurück nach Deutschland.« Sie war völlig aufgelöst. »Halt mich fest! Lass mich nicht allein!«, murmelte sie.
»Sei ganz ruhig!«, beschwichtigte er sie und hielt sie weiter zärtlich in den Armen.
Langsam nahm ihr Gesicht wieder Farbe an, und nach einer Weile sagte sie gewohnt liebevoll: »Lass uns jetzt essen! Ich habe dir gegrillte Lammkoteletts mit Kartoffeln zubereitet, die aus Bologna, die du so gern magst.« Damit ging sie zur Küche, legte vorher aber noch sorgsam das Blatt auf den Schreibtisch, neben den Umschlag und die weiße Orchidee, die sie ihm immer hinstellte.
Ferrara verschwand erst mal im Schlafzimmer. Aus dem Ofen wehte ein köstlicher Duft herüber, der ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ.
Bei Tisch sprachen sie nicht mehr über den anonymen Brief, und der Commissario aß sein Lamm mit Genuss. Die Gedanken konnte er jedoch nicht ganz abstellen. Er sah wieder das schmale, verletzte Gesicht der alten Frau vor sich. Stellte sich die verbrannten Tabakblätter im Sarg vor … Undjetzt dieser Drohbrief, am selben Tag, noch ehe etwas über den Vorfall in den Cappelle del Commiato in den Zeitungen stand.
Ein Zufall?
Möglich. Obwohl alles dieselbe Handschrift zu tragen schien, als wollte man ihn mit dem Brief wissen lassen: Das waren wir in den Cappelle.
Wir?
Er betrachtete seine Frau voller Zärtlichkeit, aber auch mit Sorge. Petra liebte ihn von ganzem Herzen, das wusste er, und sie würde bei ihm bleiben, was auch geschehen mochte, um ihm Kraft zu geben.
Sie tranken ein Glas Brunello di Montalcino und stießen miteinander an. Danach setzte der Commissario sich in seinen schwarzen Ledersessel und legte die Füße auf den dazugehörigen Hocker. Sein Lieblingsplatz am Ende des Tages. Er wirkte wie jemand, der froh war, wieder in seinen eigenen
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