Schwarze Rosen
gegangen. Dort hatte sie beim Licht einer Tischlampe in ihren Fotoalben geblättert und die schönen Momente mit der Freundin an ihren Augen vorbeiziehen lassen. Bei einemFoto, das Giovanna ihr vor Jahren einmal auf ihr wiederholtes Bitten hin geschenkt hatte, verweilte sie länger. Es zeigte die Freundin als Heranwachsende vor großen Weinfässern. Sie sah anmutig aus mit ihrem geblümten Rock und den langen, zu Zöpfen geflochtenen Haaren. Doch ihr Blick wirkte verloren und von Traurigkeit verschleiert. Dieser Ausdruck war Sara damals schon ans Herz gegangen, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewusst hatte, durch welche Hölle dieses Mädchen gegangen war. Sara Genovese hatte das Bild geküsst, und die Tränen waren ihr übers Gesicht gelaufen.
»Der Schlag soll dich treffen!«, hatte sie mehrmals ausgerufen. »Verflucht seist du, Alvise Innocenti! Du widerliches Schwein.« Dann hatte sie die Alben zugeknallt und war ungewohnt früh aus dem Haus gegangen.
Auf dem kleinen Friedhof waren nur das Murmeln ihrer Gebete und das Gezwitscher der Vögel zu hören. Sie neigte sich über das Grab und flüsterte: »Er wird dafür bezahlen, Giovanna. Ich werde nur noch dafür leben.«
Als sie den Polizeihubschrauber hörte, der über San Miniato al Monte hinweg in Richtung der dahinterliegenden Hügel flog, bekreuzigte sie sich und ging.
Nur ein Gedanke beherrschte sie, und er wurde immer drängender.
59
Inzwischen hatte der Commissario einige Anrufe erledigt.
Einen an Massimo, um ihm abzusagen. Er hatte dem treuen Freund gegenüber den Vorfall in der Kapelle erwähnt und unverhoffte Unterstützung erhalten.
»Ich kenne einen Pfarrer, der ist ein echter Fachmann auf dem Gebiet. Er kommt seit Jahren in meine Buchhandlung, wir haben einen guten Draht zueinander. Du brauchst mir nur Bescheid zu geben, dann organisiere ich ein gemeinsames Abendessen«, hatte Massimo gesagt.
Dann hatte Ferrara den Polizeipräsidenten angerufen, um ihn auf den neuesten Stand zu bringen. Danach auf dem Revier in Sesto Fiorentino, um sich über den Brand in der Kapelle vor zwei Jahren zu informieren. So erfuhr er, dass damals zwei Jagdaufseher, die im Einsatz gegen Wilderei gewesen waren, einen Mann aus den um sich greifenden Flammen hatten fliehen sehen, ihn aber nicht hatten aufhalten können. Der Brand war als Unfall bewertet worden, vermutlich verursacht bei einem Diebstahlsversuch. Die Untersuchung hatte jedoch nicht alle Zweifel ausräumen können. Das Fehlen von Wertgegenständen sowie die Vernichtung einiger Papiere, über die der Verwalter nichts wusste oder nichts wissen wollte, führten dazu, dass Brandstiftung nicht ausgeschlossen werden konnte. Ferrara erhielt außerdem die Namen aller Teilhaber der Unternehmensgesellschaft, der das Grundstück mit der kleinen Kirche darauf gehörte und die unter anderem Inhaberin eines großen Molkereibetriebs in den emilianischen Apenninen war.
Dann endlich konnte er Petra anrufen und sie wegen seines plötzlichen Aufbruchs mitten in der Nacht beruhigen. Sie schien guter Dinge zu sein und erzählte, dass sie mit ihrer Freundin Monika telefoniert habe, die versprochen habe, sie im August besuchen zu kommen.
Nachdem er seine Lesebrille aufgesetzt hatte, begann Ferrara, die Zeitungsartikel durchzusehen, die Venturi ihm vor ein paar Tagen gebracht hatte. Einer fiel ihm besonders ins Auge.
K apellen, Friedhöfe, entwidmete Kirchen: Stätten des Satans
Schwarze Messen und Teufelsanbetung auf Friedhöfen und in verlassenen Gehöften im Florentiner Umland. Schwarze Freitage, nächtliche Versammlungen, Diebstahl von sakralen Gegenständen und Reliquien aus Kapellen, Fetische und abgestochene Tiere, Kreuze, die mit dem bösen Blick belegen sollen – so sieht das andere Gesicht von Florenz aus, dieser Stadt, die das finstere Erbe des satanischen Wissensschatzes angetreten hat …
»Erbin des satanischen Wissensschatzes«, murmelte Ferrara vor sich hin.
Die Toskana.
Und Florenz mit seinem doppelten Gesicht.
Das helle und das dunkle.
Das sonnige und das zwielichtige.
Das eine war die große Vergangenheit der Stadt, das gewaltige Erbe an Kunst und Geschichte, um das alle Welt sie beneidete und weshalb eine Vielzahl von Amerikanern, Engländern und Deutschen sie zu ihrem zweiten Wohnsitz erkoren hatten. Das andere waren die bösen Geheimnisse dieser Stadt, ihre verborgenen Abgründe, die nur ans Licht traten, wenn äußerst bizarre Verbrechen geschahen.
Der Artikel brachte im Folgenden eine
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