Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
immer ich euch frage, ob der Himmel bei alledem nicht vielleicht auch ein Wörtchen mitzureden hat, erhalte ich zur Antwort, dass er sich nicht für uns interessiert. Aber was, wenn er es doch tut? Vielleicht bist du der lebende Beweis dafür? Was, wenn es himmlische Kräfte sind, die es dir ermöglichen, Teufel und Dämonen zu trotzen?«
Millepertia entzog sich ihm und senkte den Kopf. »Lukas, ich bin einen
Höllenpakt
eingegangen«, sagte sie leise. »Ich habe den Tod von hundertfünfzig Schweden zu verantworten. Und ich habe meine Tochter auf dem Gewissen. Nenn mir nur einen Grund, warum der Himmel ausgerechnet mir eine zweite Chance geben sollte.«
Lukas betrachtete sie eine Weile nachdenklich. »Aus Gnade?«
»Und was ist dann mit Abraham? Er hätte eine solche Gnade viel mehr verdient als ich. Nein, Lukas, meine Zeit läuft ab. Wenn mir noch jemand helfen kann, dann ist es nicht der Himmel, sondern der Teufel.« Sie sah ihn betrübt an, und kurz schien es ihm, als wolle sie noch etwas hinzufügen. Dann aber wandte sie sich brüsk ab und marschierte zurück ins Haus.
Lukas sah ihr hilflos nach. Er hatte gehofft, ihr Mut machen zu können. Doch er hatte das komplette Gegenteil bewirkt.
Zurück im Appartement, sah er, dass Abraham in die ausgebreitete Karte vertieft war. Millepertia saß neben ihm und starrte mit versteinerter Miene auf das Glasröhrchen mit den Diamantsplittern. Abraham hatte es an ein Band gebunden, das er wie ein Pendel über der Karte kreisen ließ. Der alte Jude schien die Veränderung, die mit Millepertia vor sich gegangen war, nicht zu bemerken, aber Mephisto beobachtete die Hexe aufmerksam, sah dann zu Lukas hinüber und grinste süffisant. Doch falls der Teufel wirklich wusste, worüber sie sich soeben unterhalten hatten, schien es ihn nicht weiter zu interessieren, denn auch er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Pendel zu.
Abraham ging äußerst konzentriert zu Werke. Wie ein Mantra murmelte er immer wieder hebräische Zaubersprüche, während sein improvisiertes Pendel unvorhersehbare Bahnen und Kreise über der Karte beschrieb und sich allmählich auf eine Region im Osten der Republik einschwang. »Thüringen oder Sachsen«, murmelte der alte Jude. Seine Schläfenadern pochten vor Anstrengung und Konzentration. Die Kreise des Pendels wurden enger, dann straffte sich die Schnur. »Dresden!«, rief Abraham überrascht aus. »Dabei hatte ich einen Moment das Gefühl, als würde eine weitere Macht in der Nähe an dem Pendel zerren.«
»Dresden?«, echote Millepertia. »Dresden ist verdammt groß.«
Abraham zuckte bedauernd mit den Schultern, doch Mephisto wirkte zufrieden. »Das sollte reichen. Jetzt darf mein Famulus seine Brillanz unter Beweis stellen. Vorausgesetzt, er trägt seinen Kopf nicht bloß auf den Schultern, um irgendwelchen Sukkubi zwischen den Schenkeln zu lecken.«
»Kannst du nicht endlich mit diesem Mist aufhören!?«, fuhr Lukas den Pudel an.
»Es tut mir
so
leid.« Mephisto warf sich theatralisch auf den Rücken und wimmerte. »Wie
konnte
ich nur …? Ach was – ich würde es jederzeit wieder tun.« Er setzte sich wieder auf und grinste. »Jetzt aber zur Sache: Könntest du unsere beiden Hinterwäldler mal aufklären, was die Moderne so an Errungenschaften zu bieten hat?«
Lukas starrte Mephisto verwirrt an und ahnte plötzlich, wovon er sprach. War das denn so einfach? »Moment«, er zückte sein Smartphone und stellte abermals eine Netzverbindung her. »Wenn Urds Spiegel die Wahrheit gesagt hat, gibt es da vielleicht tatsächlich eine Möglichkeit. Mille, erinnerst du dich, dass uns der Spiegel vor den Diamanten gewarnt hat? Wie war noch gleich der Wortlaut?«
»In diesen Tränen schlummern … die göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe. Aber sie sind umschlossen von ewigem Leid. Hüte dich vor ihnen, weil ihnen Fluch und Verderben auf dem Fuß folgen«, rezitierte sie aus dem Gedächtnis.
»Genau.
Verflucht
war das Stichwort.« Lukas entfernte sich einige Schritt weit von Abraham, rief Google auf und gab als Stichworte
Diamant,
Fluch
und
Dresden
ein. »Ich habe irgendwann mal etwas von irgendwelchen verfluchten Diamanten gelesen. Falls ich mich da nicht irre, werden auch andere etwas darüber gelesen haben. Und wenn das so ist, hilft das Internet meinem Gedächtnis binnen Kürze auf die Sprünge. In den Foren gibt es genügend Spinner, die …« Ihm fiel ein, dass das alles keine Spinnerei war. Ohne seinen Satz zu beenden, las er
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