Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
mich als auf Euch abgesehen hatte?« Er legte Lukas die Hand auf die Schulter und bedeutete ihm, einige Seiten zurückzublättern. »Und das ist leider noch nicht alles. Als ausdrückliche Vorbedingung wird in dem Text genannt, dass der Edelstein des Einbandes an Euch auszuhändigen wäre, damit Ihr ihn vor Ritualbeginn zerstört. Ob freiwillig oder durch Zwang, dazu finden sich im Text keine Angaben. Ihr erinnert Euch an den Stein? Ich habe Euch in Worms darauf angesprochen.«
Lukas nickte mit trockener Kehle. Natürlich erinnerte er sich.
»Ohne diese Vorbedingung«, fuhr der Zauberer fort, »sind alle Anstrengungen zur Übernahme des Wirtskörpers umsonst. So zumindest steht es hier geschrieben.«
Lukas versuchte, sich den zersplitterten Edelstein wieder vor Augen zu führen. »Der Klunker ist eher zufällig kaputtgegangen«, krächzte er und sah an sich hinab.
Wirtskörper!
Das war ja widerlich!
»Wirklich? Denn hier steht, dass der Stein zuvor mit Eurem Blut benetzt werden muss.«
Lukas runzelte angestrengt die Stirn. »Von Nettesheim hatte mich verletzt. Ich will nicht ausschließen, dass so etwas von meinem Blut auf das Buch gelangt ist«, sagte er gedehnt.
Abraham zog den Überrest des Höllenzwangs unter seinem Gewand hervor und betrachtete die Flecken auf dem Buchdeckel. »Offenbar habt Ihr die Ereignisse damit in Gang gesetzt – wenngleich unabsichtlich, aber das zählt in der Zauberei für das Ergebnis nicht.«
Lukas stöhnte. »Steht da auch, was es mit diesem Diamanten auf sich hat?«
»Nein, leider nicht.« Abraham wies auf eine Unterdatei in dem Bildordner. »Was befindet sich in diesem … Kästchen?«
Lukas öffnete ihn und entdeckte darin Aberdutzende türkisblauer Aufnahmen in unterschiedlichen Schattierungen. Er öffnete sie der Reihe nach. »Offenbar die gleichen Manuskriptseiten wie eben, nur aufgenommen mit dem fluoreszenz-fotografischen Verfahren«, kommentierte er. »Allerdings erkenne ich nirgendwo Buchstaben oder Symbole, die darauf hindeuten, dass das Pergament zweitverwendet wurde.« Er öffnete das letzte Bild, das den hinteren Einband des Höllenzwangs zeigte. Schwach, aber deutlich wahrnehmbar, prangte über der kompletten Seite ein lateinisches Wort:
Apertus.
Darunter befand sich die Darstellung eines Objektes, das Lukas für einen Kerzenhalter mit Löwenkopf hielt. »Oha. Da ist doch etwas. Wissen Sie, was der Begriff übersetzt heißt?«
»Das ist das lateinische Wort für ›offen‹. Moment mal.« Abraham nahm die Überreste des vorderen Teils des Höllenzwangs zur Hand und beäugte die Innenseite des Einbandes. Aufgeregt trat er an eine Lampe heran und hielt sie darunter. »Hier ist ebenfalls ein Wort zu erkennen«, murmelte er. »Nur schwach und, wie es aussieht, mit unsichtbarer Tinte abgefasst, aber die lange Zeit hat sie sichtbar werden lassen. Es lautet
Semper.
«
»Und was heißt das?«
»Das ist der lateinische Begriff für ›immer‹.« Sein Kopf ruckte hoch. »Aber natürlich.
Semper apertus!
Immer offen!« Abraham wirkte plötzlich aufgeregt. »Das ist der Leitspruch der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg. Sie ist die älteste in Deutschland. Bis zum Dreißigjährigen Krieg befand sich dort die weltberühmte
Bibliotheca Palatina,
eine der wichtigsten deutschen Renaissance-Bibliotheken. Aber das ist nicht alles. In Zaubererkreisen kursiert ein Gerücht, nach dem an der Universität ein verschollener Trakt mit verbotenen Schriften existierte, der von niemand Geringerem verborgen wurde als von Eurem Ahnen.«
Lukas riss die Augen auf. »Vielleicht sind diese verborgenen Einträge eine Art Erinnerungsstütze!«
Abraham nickte bedächtig. »Wäre ich Faust und hätte die Möglichkeit einer Seelenwanderung von der Hölle zurück ins Diesseits als Option betrachtet, hätte ich mir vermutlich gleichfalls einen Hinweis für die Zukunft hinterlassen. In etlichen Jahrhunderten kann viel geschehen. Auch Erinnerungen können verblassen. Und bei so einer wichtigen Erinnerung hätte ich nichts dem Zufall überlassen.« Er ließ den Teil des Höllenzwangs in seinen Händen sinken und sah sich unruhig um. »Wo bleibt eigentlich Mille? Wir sollten nach ihr sehen, sie ist schon ziemlich lange fort.«
»Warten Sie, vielleicht finde ich sie von hier aus.« Lukas klickte das Kamerasymbol an, und vor ihm bauten sich die Bilder der Überwachungskameras auf. Er suchte sie nach der Hexe ab, fand sie jedoch nicht. Stattdessen blieb er bei der Übertragung aus dem
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