Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
Zwangspause, um das leergeschossene Rohr der Muskete neu durchzuladen. »Kannst du ihm denn helfen?«
»Ich hoffe es.«
Lukas spähte abermals in den Garten hinaus, wo Agrippa von Nettesheim in diesem Moment wieder auf die Beine kam und hasserfüllt zu ihm hinaufstarrte. Instinktiv duckte sich Lukas, doch Agrippa von Nettesheim wandte sich plötzlich ab und lief mit federnden Schritten hinüber zum Gartenpavillon.
»Wir müssen jetzt wirklich los«, mahnte Lukas, eilte zurück zum PC und sann kurz darüber nach, die Dateien auf sein Smartphone zu kopieren. Zu seinem Ärger fehlte ihm die entsprechende App, und einen Datenstick fand er in der Eile ebenfalls nicht. Er konnte nur hoffen, dass sie hatten, was sie brauchten. »Der Kerl ist bereits wieder auf den Beinen und heckt irgendetwas aus.« Wütend löschte er die Dateien und griff anschließend nach Smartphone, Ladekabel und Höllenzwang. Kurz hielt er inne. »Komisch. Warum hat uns Agrippa nicht einfach mit einem Feuerball geröstet, oder was er sonst so draufhat?«
»Vermutlich ist er zu so etwas nicht imstande«, antwortete Millepertia, die Abraham anhob und ihn ohne erkennbare Mühe zum Zimmerausgang trug. »Gerade die mächtigeren Zauber benötigen Zeit, Vorbereitung und entsprechende Mittel, um zu wirken. Zu alledem dürfte er nach seiner Befreiung keine Zeit gehabt haben.«
»Nach seiner
Befreiung?
Wer soll ihn denn befreit haben?«, fragte Lukas, doch dann verstand er. »Lass mich raten: Er hat seinen Geist wie damals Paracelsus in den Homunkulus versetzt und sich so von den Fesseln befreit?«
»Ich vermute es.«
»Verflucht, warum hat Abraham das Gefäß bloß geöffnet?« Lukas folgte ihr die Treppe nach unten, als von einem der zerschlagenen Gangfenster her ein Gebrüll wie von Raubkatzen zu hören war.
Millepertia starrte nach draußen. »Oh nein. Er hat die Tatzelwürmer freigelassen.«
Lukas erinnerte sich nur zu gut an die schwarzen Katzen-Schlangen-Chimären, die er im Überwachungsraum gesehen hatte. »Wie gefährlich sind die Viecher?«
»Sehr gefährlich.« Millepertia konnte selbst in ihrer Hartheugestalt nicht verbergen, dass sie beunruhigt war. »Und Agrippa wird sich neu ausrüsten. Ohne Abraham haben wir gegen ihn keine Chance.«
»Trotzdem, wenn wir ihn jetzt nicht fertigmachen, wird er uns ewig jagen.«
»Und wie willst du das anstellen?«, herrschte ihn Millepertia an. »Ich sagte doch bereits, dass wir ohne Abraham …«
»Ganz einfach«, unterbrach sie Lukas kämpferisch. »Indem wir ihn an seiner empfindlichsten Stelle treffen: seiner Unverwundbarkeit!«
Inzwischen hatten sie das Laboratorium erreicht, und Millepertia warf ihm einen ungläubigen Blick zu. »Wie soll uns das bitte gelingen?«
»Mir ist vorhin ein Gedanke gekommen.« Lukas blieb stehen. »Abraham sagte doch, dass sich von Nettesheim intensiv mit Bildmagie beschäftigt hat. Als Mephisto ihm in Staufen gegenüberstand, höhnte der, dass Agrippa offenbar Oscar Wilde nacheifern würde. Ich dachte damals, er meinte damit seinen dandyhaften Aufzug. Aber inzwischen glaube ich, von Nettesheim hat sich wie Dorian Gray ein Bild erschaffen, das an seiner Stelle altert und seine ganze Verkommenheit aufnimmt.«
»Dorian wer?« Millepertia sah ihn verwirrt an.
»Das Bildnis des Dorian Gray! Das ist eine Geschichte von Wilde. Und genau so ein Bild habe ich vorhin auf einem der Monitore im Überwachungsraum gesehen. Es ähnelte Agrippa, nur war die Gestalt darauf deutlich älter.«
»Bist du dir sicher?«
Als Lukas nickte, warf Millepertia ihr gelbes Blütenhaar zurück. »Von einer solchen Zauberpraxis habe auch ich schon einmal gehört. Allerdings in Zusammenhang mit einer Statue.«
»Schön. Nur habe ich keine Ahnung, wo er das Bild versteckt haben könnte.« Lukas lauschte wieder in Richtung des Gartens und glaubte, von dort ein schwaches Fauchen zu hören. »Ich selbst würde einen solchen Schatz vermutlich in einem Schweizer Banktresor verstauen.«
»Moment.« Millepertias grüne Augen leuchteten hoffnungsvoll. »Hier im Haus gibt es doch ganz andere Räume, die als Versteck geeignet wären. Räume, in denen ein solches Gemälde überhaupt nicht auffallen würde.«
»Mein Gott, natürlich!«, rief Lukas, der sofort verstanden hatte, was sie meinte. »Eine solche Überheblichkeit würde gut zu dem Wichser passen. Bete, dass wir recht haben. Denn falls nicht, sind wir am Arsch.«
Sie rannten durch die Zimmer mit den Vitrinen, hetzten die Treppe ins erste
Weitere Kostenlose Bücher