Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
Schulter gespuckt? Das reicht bei Talenten wie dir für gewöhnlich.
Lukas keuchte – und tat das Einzige, was ihm zu seiner Rettung noch einfiel. In nackter Todesangst spuckte er über die linke Schulter und brüllte: »Mephisto, Mephisto, Mephisto – rette mich!«
Highway to hell
I ’M
ON
THE
HIGHWAY
TO
HELL
!
ON
THE
HIGHWAY
TO
HELL
!
Der Refrain des bekannten
AC
/
DC
-Songs dröhnte in voller Lautstärke in Lukas’ Ohren, als er wieder zu sich kam. Er brauchte eine Weile, bis er begriff, dass er auf einer Sitzbank mit billigem Kunststoffbezug saß. Wo war er? Er hob den Kopf und schrie entsetzt auf. Ihm gegenüber saß eine grauenerregende Gestalt in blutbesudeltem Anzug, der der halbe Schädel fehlte. Gehirnmasse leckte ihr über das Ohr, und ihr verbliebenes Auge starrte leer durch ihn hindurch. Erst auf den zweiten Blick sah Lukas, dass durch den Körper der widernatürlichen Kreatur die Rückenlehne schimmerte. Das da vor ihm musste ein Geist sein! Ein Geist, der vor seinem Tod einen schrecklichen Unfall gehabt hatte!
Panisch sprang Lukas auf, hob die Flinte an und sah sich um. Er befand sich in einem schäbigen Linienbus, und um ihn herum saßen noch mehr Geister. Schräg gegenüber hockte ein kaum zehn Jahre altes Mädchen im Schlafanzug, eine Puppe in der einen und ein blutiges Küchenmesser in der anderen Hand. Ein gemeines Grinsen entstellte ihre kindlichen Züge. Zwei Bänke hinter ihr entdeckte er eine hochmütig dreinblickende Krankenschwester, aus deren Kitteltasche der Kolben einer Spritze ragte. Und da waren noch viele mehr: ein Greis in Gestapo-Uniform, drei Schlägertypen mit Einschusswunden, ein fettleibiger und dichtbehaarter Kerl in verschwitztem Unterhemd, der zu Lukas’ Befremden einen Frauenslip über dem Kopf trug, sowie ein Priester, um dessen Hals noch immer ein Strick baumelte. Sie alle stierten an ihm vorbei in Fahrtrichtung.
»Mann, ich liebe diesen Song!«, bellte vorn eine vertraute Stimme gegen die Beats an.
Lukas wirbelte herum und sah einen ihm nur zu gut bekannten schwarzen Pudel auf dem Fahrersitz, der unter wildem Headbanging den Liedtext mitgrölte:
NO
STOP
SIGNS
.
SPEED
LIMIT
.
NOBODY
’S
GONNA
SLOW
ME
DOWN
!
»Hör auf damit, verdammt!«, brüllte Lukas gegen den Lärm an.
»Was denn? Was denn?« Mephistopheles sah ihn mit aufgesetzter Bestürzung an und fummelte mit der Pfote an der alten Musikanlage neben dem Lenkrad herum. »Möchtest du etwas anderes hören? Das hier vielleicht?« Unvermittelt dröhnten die Klänge von
Saltatio Mortis
durch den Bus, und Mephisto grölte diesmal die letzte Strophe von
Miststück
mit. OB DU JEMALS GELIEBT HAST , WERD ICH NIEMALS ERFAHR ’N, DENN JEDER DEINER LIEBSTEN MUSSTE ZUR HÖLLE FAHR ’N! Er lachte hämisch. »Und hier, meine neuesten Schützlinge:
Devil’s Tabernacle!
« Der Song wechselte abermals, und der hypnotische Klang einer Violine, die von Drums und E-Gitarren untermalt wurde, fegte wie ein heißer Höllenwind durch den Bus.
»Verdammt, was soll das? Wo bin ich hier?« Durch die Scheiben sah er, dass der Bus mit rasender Geschwindigkeit eine stark frequentierte Autobahn auf der falschen Fahrbahnseite entlangraste. Die Außenwelt wirkte trübe, grau und wie von Schlieren durchzogen, und die vielen Autos, mit denen sie immer wieder hätten kollidieren müssen, rauschten durch den Bus hindurch, als wären sie nichts weiter als Projektionen. Mephisto drehte die Musik leiser und grinste. »Wie heißt es so schön: Wer wie der Teufel fährt, begegnet ihm.«
Lukas, dem nicht der Sinn nach Scherzen stand, blaffte den Pudel abermals an: »Wo sind wir, verdammt noch mal?« Mit pikiertem Gesichtsausdruck stiefelte er an dem Geist einer dicken Frau mit weit aufgerissenen Augen und unter der linken Brustseite verkrampften Händen vorbei. In ihrem Mund steckte noch immer ein feistes Stück Buttercremetorte mit Marzipanröschen.
»Aber das siehst du doch, Famulus. Das hier ist die Linie 666 . Die Sünder hinter dir haben in der großen Lotterie des Lebens ein Eins-a-Ticket direkt in die Hölle ergattert.« Ein langgezogenes Heulen entstieg Mephistos Hundekehle, das die verdammten Seelen in den Sitzreihen mit schaurigem Wehklagen beantworteten. Mephisto musterte die Vielzahl der Geister ungehalten. »Herrschaften, das hier ist keine Kaffeefahrt. Etwas mehr Inbrunst, wenn ich bitten dürfte. Zu Lebzeiten seid ihr euren Sünden auch mit mehr Begeisterung nachgekommen.«
Die Dicke schräg hinter ihnen röchelte erstickt
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