Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
Vom Netzwerk:
irgendwie selbst an ihrem Unglück schuld?«
    Faller, die seit dem Alter von siebzehn Jahren an gar nichts mehr glaubte, fühlte sich bemüßigt, dem armen Kerl seelischen Beistand zu leisten. »Es heißt doch: ›Die Wege des Herrn sind unergründlich.‹«
    »Ja, so heißt es. Das sagen wir Theologen immer, wenn uns nichts mehr einfällt. Aber, ehrlich gesagt, mir ist egal, was sich Gott bei dieser Sache gedacht hat. Ich will es gar nicht wissen. Ich … ich bin hergekommen, um die Menschen zu trösten, um ihnen zu sagen, dass Gott sich um sie kümmern wird, dass er sie mit seiner Güte und Gnade empfangen wird. Aber ich kann das nicht mehr. Mit dem Gott, der das hier zugelassen hat, will ich einfach nichts mehr zu tun haben!«
    Faller war Journalistin. Es war ihr Job, die Dinge so darzustellen, wie sie waren. Normalerweise überließ sie dabei |189| die Klärung von Persönlichkeitsrechten der Rechtsabteilung und riskierte lieber eine Gegendarstellung, als sich freiwillig einen Maulkorb vorzubinden. Doch diesmal fragte sie nach: »Sind Sie einverstanden, dass ich Ihre Aussagen veröffentliche? Ich meine, bekommen Sie dann nicht Ärger? Verlieren Sie vielleicht Ihren Job?«
    Der Priester zuckte mit den Schultern. »Ich fürchte, Gott hat mich schon rausgeworfen«, sagte er.
    Dann war da die glücklose Selbstmörderin gewesen. Mit dem Föhn sei sie in die Badewanne gestiegen, nachdem ihr Freund sie verlassen habe, hatte sie erzählt. »Und genau in der Sekunde, als ich den Föhn ins Wasser tauchte, ist der Strom ausgefallen. Erst habe ich gedacht, die Sicherung sei rausgeflogen, wegen des Kurzschlusses. Aber dann ist das Fenster explodiert, Glasscherben flogen herum, und plötzlich waren überall Flammen. Vor Schreck bin ich abgerutscht und mit dem Kopf unter Wasser geraten. Das hat mir wohl das … das Leben gerettet.«
    Das Mädchen konnte kaum volljährig sein. Sie war am ganzen Körper bandagiert. Das Sprechen schien ihr Schmerzen zu bereiten, aber sie musste sich offenbar mitteilen. »Ich bin dann aus der Wanne, hab mir ein nasses Handtuch umgebunden. Weiß nicht, warum ich nicht einfach sitzen geblieben bin und auf den Tod gewartet oder mich aus dem Fenster gestürzt habe oder so. Ich hatte mich doch schließlich umbringen wollen. Hab einfach nicht nachgedacht. Bin nackt, wie ich war, nur mit dem nassen Handtuch die Treppe runter und aus dem Haus.« Sie schüttelte vorsichtig den Kopf. »Es ist völlig verrückt. Alle sind tot, nur ich, die ich sterben wollte, ich hab überlebt!« Sie stieß ein heißeres, hustendes Lachen aus. »Ich hoffe nur, dass Erik keinen schnellen Tod gehabt hat. Vielleicht ist er in den Armen dieser Schlampe gestorben. Vielleicht sind die beiden qualvoll verbrannt. Ja, das hoffe ich!«
    |190| Faller wandte sich ab, erfüllt von einer Mischung aus Mitleid und Abscheu.
    Die Katastrophe hatte die Menschen unabhängig von ihrer Stellung, ihrer persönlichen Situation getroffen. Vor der unglaublichen Gewalt der Explosion waren alle gleich. Sie dachte an den Kommunalpolitiker, den sie interviewt hatte. Er war auf dem Weg zu einer Stadtratssitzung gewesen und hatte im Stau gestanden, als die Druckwelle sein Auto durch die Luft geschleudert hatte. Wie durch ein Wunder hatte er sich aus dem brennenden Wrack befreien und sich schwerverletzt in den Schutz eines Gebäudes schleppen können, wo ihn Rettungskräfte später gefunden hatten. Ein Tagesordnungspunkt der Stadtratssitzung waren zusätzliche Mittel für den Katastrophenschutz gewesen.
    Faller hatte den bekannten Musiker George Daniels getroffen, über den wegen seiner Homosexualität und seines ausschweifenden Lebensstils bereits mehrfach in der
Rasant
berichtet worden war. Er hatte die Katastrophe im Garten seiner Luxusvilla in Waldbronn an den Ausläufern des Schwarzwalds erlebt. Er hatte sie sogar erkannt, war ihr wegen ihrer Berichterstattung aber nicht böse gewesen. Beide wussten sie, dass Skandale gut fürs Geschäft waren.
    So viele Menschen, so viele Geschichten. Die Mutter, die mit ansehen musste, wie ihre Kinder auf dem Spielplatz zu Asche verbrannten. Das von Geburt an blinde Mädchen, das zum ersten Mal in seinem Leben etwas sehen konnte – den Blitz der Bombe. Der Junge, der auf dem Dach eines Hochhauses eine Party feierte und dessen Freunde einfach in den Abgrund geweht wurden. Die Bahnreisenden, deren Zug kurz nach der Ausfahrt aus dem Karlsruher Bahnhof durch die Luft geschleudert wurde. Der Profifußballer vom KSC, der

Weitere Kostenlose Bücher