Schwarzes Gold Roman
Unterbrechung durch bis Sonntagabend zehn Uhr. So verdiente
er ungefähr tausend Kronen bar auf die Hand. Manchmal ertappte er sich auf
solchen 50-Stunden-Mammutschichten dabei, dass er auf der Autobahn einnickte.
Er blinzelte und bemerkte, dass der Wagen die Fahrspur gewechselt hatte und auf
die Leitplanke zusteuerte, ohne dass er wusste, wie es dazu gekommen war. Aus
Schaden klug geworden legte er jetzt am Samstagnachmittag zwischen drei und
sieben Uhr ein paar Stunden Schlaf ein.
Es ging an diesem Samstagabend auf Mitternacht zu, als Anders
die Prinsensgate entlangfuhr, nach rechts in die Akersgata und am Egertorget in
die Karl Johans Gate einbog. Er ließ den Wagen bis zum Taxistand vor dem
Parlamentsgebäude rollen. Als er der Erste in der Schlange war, wurden die
Türen geöffnet. Ein Mann und eine Frau setzten sich auf den Rücksitz.
»Hovseter«, sagte der Mann. »Und machen Sie Musik an.«
Es war im Sommer 1985. Es war Nacht. Anders fuhr einen
Dreiliter Ghia Ford Granada Automatik, ein benzinsaufendes Ungeheuer, das
schneller von null auf hundert war als jedes andere Taxi der Stadt. Er öffnete
das Schiebedach, um den Fahrgästen ein Gefühl von Freiheit, Nacht und Rock
’n’ Roll zu vermitteln, und legte The Police ein. Ein wildes Bassriff und
Stings verschleierte Stimme ertönten:
Every breath you take
… Er
ließ das Auto den Sørkedalsveien hinaufjagen, an Majorstua vorbei, mit 140
Stundenkilometern Richtung Smestad. Sting sang.
Every move you make
… Die beiden auf dem Rücksitz knutschten und flüsterten. Anders stellte den
Spiegel ein und entdeckte zwei Augen, die ihm sehr vertraut waren. Er sah weg,
in die Nacht hinaus, und fuhr schnell und hart weiter. Er drehte die
Lautstärke hoch und merkte, dass sich hinten etwas verändert hatte. Die
beiden saßen nicht mehr eng umschlungen da. Jeder saß in seiner Ecke. Sting
sang:
Can’t you see, you belong to me, how my poor heart aches, every
step you take …
Kaum hatte er im Hovseterveien angehalten, sprang die eine
Tür auf, und schon war die Frau draußen. Abgewandt wartete sie, während der
Mann bezahlte. Die Frau hatte
schwarzes Haar. Sie lehnte mit der Schulter an einem
Laternenpfahl, ohne sich umzudrehen. Während der Mann nach seinem Geld kramte,
betrachtete Anders die Gestalt: die langen Beine, die aus dem Minirock wuchsen.
Er blickte von der Silhouette der Frau zu dem Mann im Spiegel. Ein Glatzkopf.
Rote Schorfflecken auf der Kopfhaut, graue Bartstoppeln im Gesicht, dunkle
Flecken auf der Unterlippe, der Blick benebelt. Ein Mann, der nach Staub und
Fiasko roch. Erneut sah Anders zu der Frau hinüber, die mit dem Rücken zu ihm
dort stand. War es möglich, dass sie es war?
Ein paar traurige Minuten war er sich sicher gewesen, und
sein Magen hatte sich zusammengezogen. Doch nun war er nicht mehr so überzeugt
– es war der Anblick des Mannes. Er war so betrunken, dass er ihm aus dem
Auto helfen musste. Anders öffnete die Tür und stützte den Fahrgast. »Kann
ich irgendwie helfen?«, sagte er mit lauter Stimme, damit die Frau ihn hören
konnte. Doch sie ging einfach davon, drehte sich nicht um und verschwand mit
schnellem Schritt im Schatten der Hochhäuser von Hovseter. Der betrunkene Mann
sah sie gehen und rief: »Warte, jetzt warte doch!«
Doch nicht einmal das half Anders. Der Passagier rief keinen
Namen. Da streckte Anders den Arm durch das offene Fenster hinein und stellte
den Motor ab. Er lauschte. Doch er vernahm keine Schritte, nichts. Langsam
schlenderte er den Fußweg entlang. Er blieb stehen und suchte nach den beiden
Fahrgästen: Die langbeinige Frau und ihr besoffener Liebhaber. Er konnte sie
nicht ausmachen. Sie waren spurlos verschwunden, als hätten sie nie existiert.
Anders wandte sich um und ging langsam zurück zum Wagen. Konnte das Renate
gewesen sein?, fragte er sich zweifelnd. Aber wenn sie es wirklich war, warum
habe ich dieses Zusammentreffen nicht anders meistern können?
12
Vebjørn wartete auf die richtige Gelegenheit, Liv von Georg
Spennings Tod zu berichten. Sie wohnte nur noch selten zu Hause. Nachdem sie
aus Blakstad entlassen worden war, verbrachte sie bloß ein paar Tage daheim,
bevor der Druck zu groß wurde und sie zu ihrer alten Mutter nach Bakketeig
zog. War sie doch einmal zu Hause, saß sie zurückgelehnt in einem Sessel und
las Comics oder Zeitschriften. Mit Liv im Haus musste Vebjørn sich, neben
seiner Trauer und dem Fehlen eines guten
Weitere Kostenlose Bücher