Schwarzfeuer: Roman (German Edition)
gewährt. Ich war dreizehn.«
»Das ist der Grund, warum Ihr diese Narben tragt?«
»Das ist der Grund, warum ich diese trage.« Sie berührte das mittlere Zeichen auf der linken Wange, direkt unter dem Auge. Die Wülste waren alt und vertraut unter ihrem Finger; sie trug das Mal nun schon länger als zwanzig Jahre.
»Was ist mit dem Rest?«
»Die kamen später.« Asharres Becher war leer geworden. Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Das Glück schien aus dem Abend geflossen zu sein; eine große Erschöpfung hatte sich stattdessen in ihr breitgemacht. »Die meisten Sigrir leisten nur das erste Gelübde. Die Clans führen keine Fehden mehr wie früher. Für die meisten Mädchen ist es nicht notwendig zu kämpfen, nur Besitz zu verwalten und gute Ehemänner für ihre Schwestern zu finden.«
»Was war bei Euch anders?«
»Oralia … die jüngste meiner Schwestern war gesegnet. Durch Celestia.« Der Rauch brannte ihr in den Augen. Asharre rieb ihn gereizt weg. »Die Skarlar von Eisfeste leben im wahren Norden, in der Nähe der Gestade des Weißen Meeres. Wir halten die alten Sitten aufrecht. Die Skarlar der Gespaltenen Tanne haben nicht einmal mehr Sigrir; sie haben die Sitten der Sommerländer übernommen und sind kaum ihres Clansnamens würdig. Im wahren Norden ist es anders. Wir haben immer noch Wildblüter und weiße Wüter.
Es bestand schon immer eine große Feindschaft zwischen Wildblütern und den Dienern deiner Göttin. Die Wildblüter glauben, dass nur wenige Seelen im Clan stark genug sind, sich ihnen anzuschließen. Wenn ein solches Kind stattdessen als Gesegneter zu Celestia gerufen wird, ist das ein Diebstahl an unserem Glauben: Eine starke Seele, eine, die den alten Geistern hätte gehören sollen, verlässt unser Volk, um in einem fremden Tempel zu dienen – und in der Denkweise der Wildblüter wendet sie sich damit gegen das eigene Volk. Aus diesem Grund hassen sie die Celestianer. Ich erinnere mich an eine Gelegenheit, als ich noch sehr klein war. Sie haben in einem Raubzug gegen ein Sommerländerdorf einen Solaros gefangen genommen. Die Krieger nahmen ihn mit zurück, damit er im Schnee starb, fernab seiner Göttin. Alle Kinder wurden herbeigerufen, um zuzuschauen.«
Es war der erste Tod gewesen, den sie gesehen hatte, und es war einer der hässlichsten geblieben. Sie hatten ihm die Zähne herausgebrochen und sein Gesicht zu schleimigem rotem Brei zerschmettert. Außerstande zu schreien hatte der Priester stattdessen gestöhnt: ein grauenvolles, pfeifendes Geräusch, das bis tief in die Nacht erklang und in ihren Albträumen widerhallte. Am nächsten Morgen war er stumm gewesen, das Fleisch auf seinem Gesicht schwarz von Moskitos.
Eine alte Erinnerung. Sie schob sie beiseite, wie sie es schon tausendmal getan hatte. Heradion beobachtete sie immer noch und wartete auf das Ende der Geschichte.
»Wenn sie dort geblieben wäre – wenn das, was sie war, bekannt geworden wäre –, hätte Oralia das gleiche Ende genommen wie dieser Priester. Sie musste in den Süden gehen. Aber ich wusste, dass es nicht einfach werden würde, dass viele versuchen würden, uns aufzuhalten. Also lernte ich zu kämpfen.« Sie zeichnete mit den Fingern drei weitere Siegel nach, die in einer Linie über ihre rechte Wange liefen. »Schwert, Speer, Axt. Diese für das Deuten der Sterne und der Gewässer, wie es die Drachenschiffführer beherrschen. Diese für das Aufspüren und Fangen von Beute in Schnee. Damit wir uns auf dem Weg nach Süden nicht verirrten, verstehst du, oder auf der Reise verhungerten. Für das Geheimnis eines jeden Mannes, das ich erfahren wollte, musste ich eine weitere Narbe empfangen.
Ich hätte vielleicht noch mehr bekommen, aber dann verlor Oralia die Kontrolle über ihre Macht. Es war niemand da, um sie auszubilden. Also gingen wir fort. Schließlich kamen wir hierher, und sie konnte werden, was sie, dem Wunsch ihrer Göttin entsprechend, sein sollte.«
»Das ist ein außerordentliches Opfer«, sagte Heradion leise.
»Es ist lange her.« Sie zuckte die Achseln. Die Vorbereitung war der leichte Teil gewesen; es war die Reise, die hart gewesen war. Und am Ende hatte sie trotzdem versagt. »Ich hatte bereits die Gelübde als Sigrir abgelegt. Es gab keinen Grund, die Privilegien des Gelübdes nicht zu nutzen, und es war weiter kein großes Opfer.«
»Manche könnten da anderer Ansicht sein. Wie dem auch sei, es wird mir eine Ehre sein, an Eurer Seite zu reisen. Obwohl ich hoffe, dass wir
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