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Schwarzfeuer: Roman (German Edition)

Schwarzfeuer: Roman (German Edition)

Titel: Schwarzfeuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Merciel
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ausgeführt. Das Geschäft lag am Ende eines labyrinthartigen Elendsviertels, in dem sich selbst die Bewohner der Grünrauchgasse verirren konnten. Der Abriss wäre ein unangenehmer, wenig ertragreicher Auftrag. Angesichts dringenderer Angelegenheiten geriet die Sache schnell in Vergessenheit – bei der Königlichen Justiz, wenn auch nicht bei den Menschen, die in der Grünrauchgasse leben mussten.
    Im Laufe der Jahre bekam die Hütte des Apothekers in der kollektiven Fantasie einen unheimlichen Ruf. In Regennächten wehten Gerüche, die einem die Tränen in die Augen trieben, aus der Gasse. Fische, die man in der Nähe aus dem Wasser gezogen hatte, waren oft schuppenlos und schleimig, und ihre missgestalteten Flossen griffen in die Luft wie weiche, rosige Hände. Mit jeder neuen Sichtung nahmen die Gerüchte über den Fluch, mit dem das Haus belegt war, und über das, was der Apotheker wirklich hinter diesen blinden, schiefen Fenstern getan hatte, immer größere Ausmaße an. Schon bald mieden die Leute die Gasse völlig und wandten sich schließlich gewohnheitsmäßig und beinahe instinktiv von ihr ab.
    Corban hatte die Gelegenheit sofort erkannt. Und sie ergriffen.
    Niemand würde ihn hier belästigen. Er konnte seine Schwarzfeuerbolzen sicher versteckt im Keller der Apotheke zurücklassen – der Mann war nicht nur ein Giftmischer, sondern auch ein Schmuggler gewesen und hatte unter seinem Laden einen geheimen Zugang zum Meer gegraben –, und niemand würde auf die Idee kommen, hier nach ihnen zu suchen oder, falls doch, Corban mit den Bolzen in Verbindung zu bringen.
    Er erwartete nicht, dass er sich darum Sorgen würde machen müssen. Seit Ewigkeiten hatte niemand mehr den Laden besucht. Die kleine Veranda war mit Vogelkot überkrustet, sodass sie eine gesprenkelte weiße Fläche bildete. Ein Band, das von der Sonne völlig ausgebleicht war und nur noch den Überrest eines hellen Rotes an einem Ende zeigte, flatterte an einem Baum mit schorfiger Borke vor dem Gebäude: das letzte Vermächtnis des ausgesprochenen Banns. Die Tür, von Möchtegerndieben aus den Angeln gehoben, lehnte an einem krummen und schiefen Rechteck aus Dunkelheit.
    Corban schob die Tür zur Seite, bis sie keine Spuren mehr in den durchweichten Häufchen Vogelkot hinterlassen konnte. Natürlich wäre es letztlich egal. Der Regen würde einen Teil der Spuren verwischen, und die Vögel selbst würden bald für den Rest sorgen, aber Corban war kein Mann, der gern Risiken einging. Er wollte so wenig Hinweise auf seinen Besuch hinterlassen wie nur möglich.
    Er zog den Kopf ein, als er die erste Schwarzfeuerkiste hineintrug. Die durchgesackte Decke ließ nicht viel Platz, und die Hütte war unglaublich vollgestopft. Mumifizierte Kräuter hingen an Haken in den Dachsparren. Ihre Blätter waren runzlig grau und wiesen Flecken von weißem Moder auf. Ihre knotigen Wurzeln waren von Pilzen übersät. Höchstwahrscheinlich war das Zeug harmlos … aber es stellte ein weiteres Risiko dar, das Corban nicht eingehen wollte. Er hielt den Kopf gesenkt und atmete nur flach, während er unter ihnen hindurchging.
    Die Kräuter waren nicht das Einzige, was der Apotheker zurückgelassen hatte. Inmitten des Blattwerks dieses toten, herabbaumelnden Waldes glitzerten Augen.
    Diese Augen waren aus Glas, wie Corban wusste. Tote Augen. Harmlos. Der Apotheker hatte außerdem Tiere ausgestopft. Kaninchen und mottenzerfressene Füchse saßen auf den verbogenen Holzregalen, erstarrt zwischen Beuteln mit vermoderten Teeblättern und Schachteln mit Pastillen, die durch die Feuchtigkeit völlig zusammengebacken waren.
    Sie nervten ihn noch immer. Und darunter fanden sich auch schlimmere Kreaturen: Ungeheuer, die der Grund dafür waren, warum die frühen Diebe schreiend und leichenblass aus dem Laden des Apothekers gerannt waren. Ungeheuer, die Legenden begründet hatten, die andere Diebe bis auf den heutigen Tag fernhielten.
    Bauchige Krüge hielten sie in trübem Salzwasser gefangen: zweiköpfige Schlangen, Teile von Eingeweiden, vollgestopft mit klebrigen Würmern, ein weißes Ferkel mit gespaltenem Kiefer, das nur ein einziges rundes Auge in der Mitte seines Kopfes besaß. Ein Welpe mit sechs Beinen, aber ohne Schwanz. Zwei Krokodiljunge, deren Glieder, befallen von einer zerstörerischen Krankheit, bloß noch aus nackten Knochen bestanden, die eine grüne Papierhaut umgab. Die Krokodile hatten versucht, einander in dem Krug aufzufressen.
    An den Wänden zogen sich in

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