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Schwarztee - Tatort-Salzkammergut Krimi

Titel: Schwarztee - Tatort-Salzkammergut Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anni Buerkl
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zu lange kein Yoga gemacht. Kein Wunder, dass sie sich
wirr fühlte. Es war so verdammt schwer, im Hier und Jetzt zu bleiben.
    Na schön, dann würde sie die Zeit eben nutzen und in Ruhe den
Artikel lesen. Die Worte, die sie auf Rabensteins Manuskriptseiten erhascht
hatte, geisterten ihr im Kopf herum. Alpenfestung, sie wusste nicht allzu viel
darüber.
    Berenike stellte eine saubere Tasse zurück aufs Regal. Sie
zwang sich zur Ruhe, nahm ihr Teetablett und setzte sich an den Tisch neben der
Theke. Sie zog Shannas Kopien hervor, faltete sie auseinander. Langsam schenkte
sie Tee ein, während sie die ersten Zeilen überflog. ›Was wurde aus Beppo
Haim?‹ Unter dieser Überschrift stand ein Datum: ›19. Mai‹. Das war einen Tag
vor Rabensteins Tod. Was mochte in den dazwischenliegenden 24 Stunden geschehen
sein? Berenike schnupperte an dem rötlichen Tee, er roch erdig. Schon der erste
Schluck war belebend.
    ›Er war einer jener Männer, die ihre Heimat vor dem
nationalsozialistischen Wahnsinn retten wollten, vor dem Totalen Krieg. Damals
kannten ihn alle im Ausseerland – aber heute? Was wurde aus Josef Haim,
genannt Beppo?‹
    Berenike starrte in die Tasse, ohne etwas zu sehen. Sah auf
das Blatt Papier, sein Inhalt zerbröselte in ihrem Kopf. Wer? Beppo Haim? Den
Namen hatte sie nie gehört. An manchen Stellen war das Geschriebene
durchgestrichen und handschriftlich ergänzt worden. Beim genaueren Hinsehen
stutzte Berenike: Die Notizen sahen aus, als bestünden sie aus zwei
verschiedenen Handschriften. Die Buchstaben der einen waren klein, rund und
ordentlich; die der anderen hingeschmiert, nahezu unleserlich. Vielleicht hatte
der Journalist – eine simple Erklärung, die Berenike gleich wieder zu
verwerfen bereit war – den Text zu unterschiedlichen Zeiten redigiert.
    Sie nahm wieder einen Schluck aus ihrer Tasse. Die Wärme des
Tees war angenehm, aber er schmeckte bitter. Vielleicht hatte sie zu viel von
den pulverförmigen Blättern erwischt. In ihrem Hals saß etwas, das sie lieber
nicht wahrgenommen hätte. Ihre Augen schmerzten, das Salz von zuvielen
ungeweinten Tränen, sie fühlte sich blind davon. Immer diese Geschichten. Wie
die ihres Großvaters, väterlicherseits. War er tatsächlich am Alkohol
gestorben, wie die offizielle Version lautete? Oder an seiner Vergangenheit,
den Verletzungen, von denen Berenike kaum etwas wusste? Sie dachte an ihre
Mutter, wie sie im Suff nach Berenike krallte, krallen wollte. Dachte an die
Soldatengräber aus dem Zweiten Weltkrieg, die sie auf dem Bad Ausseer Friedhof
gesehen hatte. Ganz unvermutet war sie auf einige gestoßen, die die Aufschrift
›Unbekannter‹ trugen. Alte, traurige Geschichten überall. Sie warfen ihre
Schatten, ihre schwarzen Schatten. Berenike spürte eine Träne, wie sie sich aus
dem Augenwinkel löste und langsam die Haut ihrer Wange nässte. Die Feuchtigkeit
hinterließ eine kühle Spur, hinterließ ein Loch, dort, wo ihr Herz sein sollte.
    Berenike wischte sich zornig das Gesicht ab. Dinge, die man
ihr angetan hatte, lange bevor sie geboren war. Dinge, die keine Geschichte ergaben.
Zumindest keine, die man weitererzählen konnte. Bloß eine, die aus wieder und
wieder falsch zusammengesetzten Puzzleteilen bestand. Puzzleteile, die nie ein
sinnvolles Bild ergeben konnten. Wut über das Nichtwissen. Wut über das
Verweigern. Sie wollte wissen. Müde stützte sie den Kopf in die Hände. Die
Dunkelheit brach von allen Seiten herein. Sie bekam Flügel, zog sie fort, in
ihre Kindheit, die sich nach außen kaum merklich von der anderer Menschen
unterschied. Ihre dunklen Haare, das allein war es nicht.
    Nur jetzt nicht daran denken. Es war kühler geworden im
Salon. Sie wandte sich erneut Rabensteins Artikel zu, hielt die Seiten ins
Licht.
    ›Was ist in jenen letzten Kriegstagen im Frühjahr 1945 im
Ausseerland/Salzkammergut wirklich geschehen? Jene ominöse Alpenfestung,
letztes Aufgebot überzeugter NS-Kriegsstrategen – gab es sie oder war sie
ein Spuk, an den sogar die US-amerikanischen Truppen glaubten? Und wo blieb
Beppo Haim? Er gilt seit damals als verschollen.‹
    ›Josef Haim wurde 1908 in Traunkirchen am Traunsee geboren.
Er kam im Alter von 20 Jahren nach Altaussee, um sich seinen
Lebensunterhalt im Salzbergwerk zu verdienen. Bald wandte er sich dem
Sozialismus zu, wurde Mitglied der Salinenmusik.‹
    Rabenstein kann gut schreiben, dachte Berenike. Besser
gesagt, er konnte.

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