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Schwarzwaelder Dorfgeschichten

Titel: Schwarzwaelder Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berthold Auerbach
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blieb sich Jakob in seiner sonstigen Art gleich.
    Der Buchmaier, dem das verschlossene Wesen des Unglücklichen sehr zu Herzen ging, gesellte sich mehrmals zu ihm und suchte ihn auf allerlei Weise redselig zu machen. Jakob aber gab nur knappe Antworten und blickte dabei immer wie verstohlen und zusammengeschreckt auf den Buchmaier. Auch der Pfarrer konnte mit seinen liebreichen und eindringlichen Ermahnungen nicht viel aus Jakob herauskriegen. Auf eine lange Rede von Vergebung und Gnade, die der Pfarrer einst auf seiner Stube an ihn gehalten, erwiderte Jakob nichts, sondern ging an den Tisch, nahm die Bibel, blätterte darin und hielt endlich den Finger starr auf eine Stelle. Der Pfarrer las, es waren die ersten Worte im Evangelium Johannis: »Im Anfang war das Wort.«
    Jakob schlug sich auf den Mund und sah den Pfarrer fragend an, dieser verstand: man hatte dem Armen das Wort entzogen, jenes edle Band, das die Menschen miteinander und mit Gott vereinigt. Jede freie Rede seiner Lippen erschien ihm wie ein Hohn gegen den Armen, und er gedachte zum Erstenmal recht lebendig jener empörenden Tyrannei, da man das öffentliche Wort bindet und fesselt.
    Jakob wendete sich ab und that, als ob er sich mit seinem Tuche den Schweiß abtrockne, in der That aber wischte er sich die Thränen ab, die er zu verbergen trachtete. Der Pfarrer stand vor ihm und betrachtete ihn mit thränenerfüllten Augen; er faßte seine Hand und sprach ihm Mut und Trost zu.
    Jakob gestand zum Erstenmale in Worten, wie beklommen seine Seele sei. Das erleichterte ihn. Er ging befreiter von dannen und grüßte den Schullehrer, der ihm auf der Treppe begegnete, aus freien Stücken.
    Im Adler war Jakob auch oft Gegenstand des Gesprächs, und der Buchmaier bemerkte:
    »Man mag mir sagen, was man will, man hat kein Recht dazu, einem Menschen, und wenn er auch das ärgste gethan hat, das Sprechen zu verbieten. Weiß wohl, die Leute meinen's gut, sie wollen die Menschen bessern, aber das heißt man zu Tod kuriren.«
    »Herr Gott!« rief Mathes, »wenn ich dran denk', daß mir's so gehen könnt', ich thät an Jedem, der mir unter die Händ' käm', einen Mord begehen, daß man mir den Hals abschneiden thät'; nachher wär's ja ohnedem aus mit dem Schwätzen.«
    Noch viel andere derartige Reden fielen, und Jakob war lange der Gegenstand des Gesprächs, bis man sich an ihn gewöhnte und nicht mehr an ihn dachte.
    Desto mehr aber dachte Jakob für sich, so wenig das auch früher seine Gewohnheit war. In der ersten Zeit nach seiner Befreiung war er sich wie betäubt vorgekommen; er griff sich oft nach der Stirn, es war ihm, wie wenn man ihn mit einem schweren Hammer auf den Kopf geschlagen hätte. Er träumte wie halb schlafend in die Welt hinein.
    Jahrelang in einsamer Zelle sitzen, ohne eine Menschenseele, der man die flüchtigen und unscheinbaren, wie tieferen Regungen der Seele mittheilt – das ist eine Erfindung, würdig einer lendenlahmen Zeit, der das Verbrechen über den Kopf wächst und die es zu ausgemergelter Frömmelei zu verwandeln trachtet. Drängt die quellende Thatkraft zurück, sperrt die scheußlichen Dämonen ein in die Brust eines Menschen, daß sie sich ineinander krallen, sich zerren und raufen; gebt Acht, daß ja Keiner entkommt und in eure mit Latten umfriedete Welt eindringt, – schickt dann euern Pfaffen, sein Opfer ist bereit, wenn ihm nicht der gütige Dämon des Wahnsinns zuvoreilt.
    Jakob war ein Mensch leichten Sinnes gewesen, sein Kopf war nie zu eng für seine Gedanken, er wußte kaum, daß er solche hatte; er sprach sie bald aus oder zerstreute sie. Jetzt aber hatte er Jahre lang still in einsamer Zelle gesessen, und Geister kamen, von denen er nie gewußt, und grüßten ihn wie alte Bekannte und tanzten einen tollen, sinnverwirrenden Reigen. Was nützte es ihn, daß er sorgfältig die Borsten zählte, die er bei seinem neuen Handwerke verarbeitete, daß er die Zahlen laut hersagte, daß er betete, daß er mit dem Hammer aufschlug? Die flüchtigen Dämonen wichen nicht und waren nirgends zu fassen. Sie lugten in der Dämmerung fratzenhaft unter dem Stuhle hervor; kollerten auf dem Bette, kletterten an den Wänden hin und spielten mit dem Gepeinigten und nährten sich mit dem Angstschweiß auf seiner Stirne.
    Die gesunde Natur Jakobs hatte den Verderbern Stand gehalten. Als Jakob aus dem einsamen Gefängnisse zuerst wieder in die Gesellschaft seiner Schicksalsgenossen gebracht wurde, war er traurig und blöde. Die lebendigen

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