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Schwarzwaelder Dorfgeschichten

Titel: Schwarzwaelder Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berthold Auerbach
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Menschen erschienen ihm lange wie Geister mit erlogener Lebensgestalt. Und als er zu den freien Menschen zurückkehrte, war ihm die Welt wie aufgelöst, wie chaotisch ineinander zerflossen; er konnte sich nicht drein finden und lebte einstweilen so in den Tag hinein und arbeitete ohne Unterlaß. Er kam sich wie ein längst Verstorbener vor, der unversehens wieder in die Mitte der Lebenden versetzt wird, der sich die Augen reibt und nicht fassen kann, wozu die Menschen rennen und jagen, was sie zusammenhält, daß sie nicht feindselig auseinanderstieben. Er hatte ehedem nach Neigung und Lust, und von den Pflichten des Tages gehalten, im Zusammenhange der Welt gelebt; er war durch ein Verbrechen schmerzhaft ausgejätet worden, er konnte nirgends mehr recht einwurzeln. Das Räthsel des Weltzusammenhanges stand hier vor der Seele eines Menschen, der nie etwas davon geahnt.
    Mehrmals kam Jakob der Gedanke des Selbstmords, der plötzlich aus all dem Wirrwarr lostrennt; aber so oft ihm der Gedanke kam, ballte er beide Fäuste, knirschte vor sich hin und sagte: »Nein!«
    Wohl hatte ihm der Pfarrer den weltbezwingenden Spruch ins Herz gelegt und gedeutet: Gott ist die Liebe! Er ist jener geheimnißvolle Punkt, der jedes Wesen zwingt, in sich fest zu stehen und zu leben, der alle Creaturen in sich und miteinander zusammenhält, der mitten in Kampf und Noth die ewige Harmonie zeigt, in die wir einst Alle aufgehen. – Jakob hörte die ausführliche Deutung beruhigt an, sie that ihm wohl, aber er konnte sie nicht auf sich anwenden, nicht die Welt um sich her damit beherrschen und verklären. Wo zeigte sich ihm diese Liebe in den Thaten der Menschen?
    Jakob hatte einst in seiner Kindheit gehört, wie wilde Männer in Bärenhäute gehüllt zuerst in diese Gegend gekommen und sie angebaut hatten. Wenn er jetzt ins Feld ging, war es ihm sonderbarer Weise oft als sähe er einen jener ersten Wilden mit der Bärenhaut und der unförmlichen Axt in den Wald schreiten und die Bäume fällen; er sah ihn bei hellem lichtem Tage und in seinen Träumen. Welch ein tausendfältiges Leben bewegte sich jetzt auf dem kleinen Raume, den einst nur die Thiere des Waldes beherrscht hatten! Er sah, wie nach und nach die Söhne und Töchter sich ansiedelten, Fremde herzukamen; sie nahmen Steine und setzten sie als Markzeichen zwischen ihre Felder, sie bauten ein großes Haus und stellten einen Mann hinein, der mit lauten Worten ihr Gewissen wach erhalte, sie setzten einen Andern hin zum Richter über ihren Streit, und diese Beiden behielten fortan allein das Wort, – aus dem Ofenloch, in das man das unartige Kind sperrte, ward ein großes Gefängniß ...
    Jakob war auf einem Umwege in die wirkliche Welt zurückgekehrt; sie wird ihn bald wieder fassen und festhalten.
    Wer mag es aber den Leuten verdenken, daß sie den Kopf über einen Menschen schütteln, von dem sie kaum ahnten, wie er in Gedanken weit weg von ihnen Allein war?
     
Zwei Genossen.
     
    Der Adlerwirth und seine Leute saßen eines Mittags in der Erntezeit bei Tisch. Es wurde fast gar nicht gesprochen, denn die Essenszeit dient zugleich als Ruhepunkt, und in diesen Kreisen ist das Sprechen eine Arbeit; man wird nicht finden, daß es nur als etwas Beiläufiges einem andern Thun sich zugesellt, die Seele wendet sich ihm ganz zu, und die fast immer begleitenden Bewegungen ziehen den Körper nach.
    Bärbele, die Adlerwirthin, sagte, als man eben abräumte:
    »Der Bäck hat heut eine neue Magd kriegt, sie ist im Zuchthaus gewesen und ist ihm von dem Verein übergeben worden. Die dauert mich im Grund des Herzens, die kommt vom Prügele an den Prügel, ich mein' –«
    Konrad stieß seine Frau an, sie solle still sein, und winkte mit den Augen nach Jakob. Durch das plötzliche Abbrechen und die eintretende Stille gewannen die Worte Bärbele's erhöhte Bedeutsamkeit; Jedes sprach sie gewissermaßen im Stillen nach. Jakob schien indeß wenig davon berührt, er schnitt sich einen tüchtigen »Ranken« Brod, steckte ihn zu sich, klappte sein Taschenmesser zu und verließ schon bei den letzten Worten des Schlußgebets das Zimmer. Die Rücksichtnahme durch das plötzliche Verstummen ärgerte ihn mehr als die vernommenen Worte: er wollte, daß man von seinen Schicksalsgenossen in seinem Beisein ohne Rückhalt spreche. Dieses Verstummen bewies ihm, daß man ihn noch nicht für gereinigt hielt; er zürnte.
    So verletzlich und anspruchsvoll ist ein gedrücktes Gemüth.
    Kaum war Jakob eine Weile fort, als

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