Schwarzwaelder Dorfgeschichten
der Holzhauer, und das Schellengeläute war so summend, daß Medard fast in Schlaf versinken wollte. Da hörte er über sich etwas poltern, er schaute rückwärts – hat sich ein Felsen aus seiner uralten Ruhe losgelöst? Da kommt es den Weg herab, ein in Schuß gerathener lediger zweirädriger Karren, Medard ist ganz erstarrt, er schaut auf und schaut hinab und ruft schnell: Munde, geh bei Seite, Munde, um Gottes Willen lug' auf! Aber das Kind hörte nicht, und der Wagen ist schon so nahe; kommt er bei Munde an, stürzt er die Halde hinab und zerschmettert das Kind, es ist kein Stein am Wege, nichts, womit man einhalten kann. All' dies Schauen, Denken, Rufen, war das Werk eines Augenblickes, schon ist das zermalmende Rad nahe, Medard kann sich retten – aber das Kind! Schnell streckt Medard halb träumend, halb wissend, was er thut, den rechten Fuß weit vor, es knackt, der Karren steht still ... Die Leute, denen der Karren entronnen war, kamen mit Geschrei hinterdrein, sie fanden Medard mit zerknicktem Fuße, leblos, sie warfen schnell das Holz ab und luden Medard auf den Karren und führten ihn nach dem Dorf, wo er Monate lang eingeschindelt lag. Um so lustiger aber sprang Munde um ihn her, und das erquickte den Leidenden mehr, als all' die guten Tränkchen, die der alte Schäfer bereitete, und mehr als die sorgsame Abwartung der Meistersfrau. Medard war nicht so großmüthig, seinem Bruder nie zu sagen, was für ein Opfer er ihm gebracht. Das Kind verstand dessen Bedeutung noch nicht, und als er in spätern Jahren es erkannte, war die That eine längst gewohnte, wenig beherzigte, wenn gleich Munde dem älteren Bruder mit kindlicher Hingebung zugethan war, und es ihm nie in den Sinn kam, eine Einsprache dagegen zu erheben, daß ihn Medard stets »Büble« hieß. Medard konnte, wenn auch mit einem lahmen Fuß, seinem Geschäfte nachgehen; die Ruhe, die es mit sich brachte, war ihm nun besonders genehm. Munde war in der Schule, und Medard blickte auf die Tage, da es ihm das Kind wie mit einem Zauber angethan hatte, mit verwundertem Lächeln zurück; und doch war etwas eingetroffen, und wer wußte, was noch daraus wird. Munde lebte im Hause Diethelms wie das eigene Kind, und es war nicht anders zu vermuthen, als Diethelm würde dem Munde gern seine Fränz zur Frau geben, denn Diethelm war wegen seiner Gutherzigkeit berühmt, die er allerdings zumeist nur auf seine Freundschaft (Verwandtschaft) anwendete. Munde war und blieb eben der Schäferprinz, wie ihn Medard oft im Stillen nannte. Bei all' seiner Zärtlichkeit für das kleine Brüderchen und dessen große Hoffnungen versäumte indessen Medard doch seinen einstweiligen Vortheil nicht, er wollte für alle Fälle geborgen sein, er verstand es, wie man hier erst recht sagen kann, sein Schäfchen in's Trockene zu bringen und zwar mit so verschlagener List, daß Diethelm das unbedingteste Vertrauen in ihn setzte, obgleich er es ihm noch manchmal vorrückte, daß er ein Sträfling sei. Medard machte sich nicht im Entferntesten ein Gewissen daraus, das Vertrauen Diethelms zu mißbrauchen; denn das ist das Unergründliche in des Menschen Brust, daß oft Betrügerei neben Treuherzigkeit, Verstocktheit neben Zartsinn friedlich zu wohnen vermag. Als Munde confirmiert war, wurde er Schäfer, aber der ältere Bruder gab seine Hoffnung noch nicht auf: Munde mußte einst die Fränz heirathen; und je mehr das Mädchen heranwuchs, um so größer wurde auch seine Liebe zu dem jungen Schäfer, immer hütete Medard den Bruder wie seinen Augapfel und diente ihm, als wäre er sein angeborener Herr. Erst als Munde Soldat werden mußte und der Diethelm ihn nicht loskaufte, faßte Medard einen tiefen Haß gegen seinen Meister; es genügte ihm nicht mehr an den gewohnten kleinen Veruntreuungen, er wünschte sich eine gewaltige That, um Zorn und Rache loszulassen; nur die Meisterin that ihm leid dabei, und wenn sie nicht wäre, sagte er oft, hätte er den Meister schon im Stall erwürgt.
Als Medard jetzt den Bericht seines Bruders hörte, sagte er nichts, sondern stieß nur den Rauch der Pfeife immer rascher heraus.
»Ich wollt',« schloß der Soldat, »der Diethelm würde über Nacht ein armer Mann, nachher könnt' ich die Fränz heirathen ungefragt.«
»Büble, du bist ein Narr,« rief Medard, »du mußt sie haben mitsammt ihrem Geld, und mag sie noch so hoffärtig sein, und ein Nückel ist und bleibt sie; aber freilich da drüber darf man mit dir nicht reden. Wenn ich nur wüßt',
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