Schwarzwaelder Dorfgeschichten
des Wundarztes hin und her, der über Feld gegangen war; er hielt sich immer mit der Hand ein Auge zu, um sich das Unglück Peters recht zu vergegenwärtigen. Weinend und stöhnend biß er sich die Lippen blutig, er wollte als ein Missethäter in die weite Welt entfliehen, und doch wollte er ausharren, um zu retten, was zu retten war; schnell entlehnte er ein gesatteltes Pferd, und endlich kam der Ersehnte, er ritt rasch davon, aber Constantin lief noch schneller ohne auszuschnaufen den Berg hinan. Der Wundarzt erklärte das Auge für unrettbar verloren. Constantin schloß seine beiden Augen; es war ihm, als ob plötzlich Nacht und Blindheit über ihn hereinbreche; Hansjörg aber sah mit thränenschweren Blicken vor sich hin und hielt krampfhaft den Stumpffinger an seiner rechten Hand. Er sah es als eine schwere Strafe Gottes an, der dafür, weil er einst muthwillig sich selber verletzt, jetzt seinem Kinde das Auge nahm. Mild und liebreich behandelte er den unschuldigen Peter, der für ihn so Hartes erdulden mußte. Die Mutter aber, das uns wohlbekannte Kätherle, war nicht so demuthvoll, sie sagte ganz offen, daß das gewiß der vermaledeite Constantin gethan habe; sie jagte ihn aus dem Hause und schwur, daß sie ihm das Genick breche, wenn er noch einmal über die Schwelle käme.
Peter beharrte bei seiner Aussage, und Constantin verlebte die qualvollsten Tage; er rannte immer im Feld umher, wie von einem bösen Geiste getrieben, und wo er einen Stein sah, da erzitterte sein Herz. »Kain! Kain!« rief er oft und wünschte, daß er auch in die Wüste entfliehen könnte, aber er kehrte immer wieder nach Hause zurück.
Nach drei Tagen endlich wagte er es, seinen Kameraden zu besuchen. Er duckte sich und war bereit, die härtesten Schläge auszuhalten; aber der Zorn der Mutter hatte sich gelegt, es geschah ihm nichts.
Ivo saß am Bette des Kranken, dessen Hand haltend. Constantin schob den Ivo beiseite und faßte die Hand Peters, ohne ein Wort zu reden, sein Athem zitterte, endlich sagte er:
»Geh du fort, Ivo, ich bleib' da, wir haben mit einander zu reden.«
»Nein, laß ihn da, der Ivo darf Alles wissen,« sagte der Halbgeblendete.
»Peter,« sagte Constantin, »in der untersten Höll' kann man nicht mehr ausstehen, als ich ausgestanden hab'. Ich hab' unsern Herrgott oft darum gebeten, er soll mir mein Aug' nehmen und das deinige erhalten; ich hab' mir, wo ich allein gewesen bin, immer ein Aug' zugehalten, ich will nicht mehr haben als du; gelt, lieber, guter, herziger Peter, du verzeihst mir?«
Constantin weinte bitterlich, und der Kranke beschwor ihn, doch ja stille zu sein, sonst würden es seine Eltern merken; auch Ivo tröstete den Unglücklichen; schnell aber erhob sich in diesem seine alte Natur, und er sagte:
»Ich wollt', es thät mir einer ein Aug' ausstechen, dann bräucht' ich auch kein Pfarrer zu werden, hinter die Bücher hocken und ein Katzengesicht machen, wenn die andern Leute fröhlich sind; sei froh, daß du nur ein Aug' hast, du brauchst nicht Pfarrer zu werden. Aber wart nur, der letzt' hat noch nicht gepfiffen.«
Ivo faltete die Hände und sah den wilden Knaben kummervoll an.
In der That konnte nun auch Peter nicht mehr Geistlicher werden, denn geschrieben steht 3. B.M.C. 22, V. 20: »Wenn du dem Herrn ein Ganzopfer darbringst, so soll es vollständig sein, es darf keinen Fehler haben.«
Ein Geistlicher darf keinen Leibesfehler haben.
Noch in der letzten Stunde, als schon der Wagen vor dem Hause stand und Constantin von Peter Abschied nahm, sagte er: »Ich wollt', daß der Wagen umstürzen und ich einen Fuß brechen thät'. B'hüt dich Gott, Peter, und gräm dich nicht zu arg über dein verlorenes Aug'.«
Auf Ivo hatten die Worte Constantins, die sein innerstes Widerstreben gegen den geistlichen Stand bekundeten, einen tiefen Eindruck gemacht. Oft, wenn er so einsam seines Weges nach der Schule ging, sagte er leise vor sich hin: »sei froh, daß du nur ein Aug' hast, du brauchst nicht Pfarrer zu werden,« und er hielt wechselsweise ein Auge zu, um sich zu versichern, daß er nicht in dem Fall sei; den Constantin konnte er gar nicht begreifen, und doch betete er eine Zeitlang für ihn in der Kirche.
Indes war auch die Zeit herangenaht, da Ivo nach erstandener Prüfung in das Kloster zu Ehingen abreisen sollte.
Im elterlichen Hause wurde die Aussteuer herbeigeschafft, als ob er verheirathet würde. Eine Weile freute sich Ivo mit den neuen Kleidern, aber bald überwog das Gefühl des
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