Schweigende Mauern: Historischer Kriminalroman aus Trier (German Edition)
Gewinn zu erzielen. Er konnte klug reden und wusste auch sehr viel, bekam aber nichts vernünftig auf die Reihe. Auch wenn es mein Bruder war, Helena hatte er nicht verdient. Am liebsten hätte ich die drei Halunken zur Rede gestellt, als ich von der Abmachung hörte. Oder besser noch: Heimlich Gift ins Essen gemischt, damit sie daran jämmerlich verrecken.«
Bei den letzten Worten hatte sich Gesine Albrechts Stimme von traurig zu energisch verwandelt. Ihre Augen blitzten verdächtig. Man sah ihr an, dass sie eher zu Helena hielt als zu ihrem Bruder.
»Also habt Ihr keinerlei Ahnung, was die Abmachung umfasste?«, hakte Nikolaus nach.
Sie schüttelte hastig den Kopf.
»Könnte Euer anderer Bruder etwas wissen?«
»Franz?«
»Ich hörte, dass Ihr noch einen zweiten Bruder habt.«
»Ich habe schon lange keinen Kontakt mehr zu ihm. Ich sehe ihn zwar ab und zu, wage es aber nicht, ihn anzusprechen. Er zum Glück auch mich nicht. Er ist oft betrunken und stand schon mehrfach am Pranger wegen Schulden oder Zechprellerei.« Sie lächelte wieder. »Wir nannten ihn Morgen-Franz. ›Morgen‹ ist sein Lieblingswort. Bei unseren Eltern sagte er jeweils: Morgen werde ich bei der Arbeit mithelfen. Morgen werde ich aufräumen. Morgen fange ich an, zu lernen. Und als er erwachsen war: Morgen werde ich mich ändern. Morgen höre ich mit dem Trinken auf. Morgen suche ich mir Arbeit. Obwohl ich das jüngste Kind bin, habe ich oft genug für ihn gesorgt. Aber er hat es mir nicht gedankt. Darum war irgendwann Schluss.«
»Hatte Herrmann möglicherweise Kontakt zu Franz?«
Gesine zuckte wieder mit den Schultern. »Seitdem Herrmann mit Helena verheiratet war, habe ich es vermieden, mehr als nötig mit ihm sprechen. Ich kann also nicht sagen, ob sich die beiden in letzter Zeit überhaupt noch gesehen haben.«
»Wo kann man Franz finden?«
»Überall und nirgends. Er sitzt bestimmt in einer Kneipe der Stadt und bettelt um Branntwein.«
Gesine gähnte herzhaft. Sie hatte einen langen, arbeitsreichen und vor allem schlimmen Tag gehabt. Nikolaus wollte sie deshalb nicht zu lange aufhalten, aber eine Frage lag ihm noch auf der Zunge. »Verzeiht mir bitte, werte Frau, als jüngerer Mensch habe ich sicherlich kein Recht, Euch das zu fragen, aber macht es Euch etwas aus, zu sagen, warum Ihr nicht verheiratet seid?«
Sie atmete tief durch. Ihre Antwort kam recht leise. »Der Herr Junk hat es nicht erlaubt.«
»Aha. Warum denn nicht?«
»Er brauchte jemanden, der die Kinder erzieht.«
»Seine Frau konnte das nicht?«
Mit einer zitternden Hand schob sie eine Strähne grauen Haares, die ihr ins Gesicht gerutscht war, wieder unter die Haube. »Des Herrn Junks erste Frau hatte mich noch als Dienstmagd eingestellt. Doch die Arme war unfruchtbar. Selbst nach fünfzehn Jahren Ehe hatte sich kein Nachwuchs eingestellt. Eines Tages ...« Sie stockte. »Eines Tages stürzte die Herrin die Treppe hinunter und brach sich das Genick. Ihre ... Ihre Kerze muss ausgegangen sein, sodass sie ins Stolpern kam.« Gesine kämpfte gegen ihre Tränen.
»Ein Unfall also.«
Gesine blickte starr auf einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand. »Der Herr Junk heiratete sofort wieder. Sabine Wiesenfeld, die siebzehnjährige Tochter eines anderen Schöffen. Sie hätte gut und gerne seine eigene Tochter sein können. Allen war klar, dass es nur um die Zeugung eines Nachfolgers ging. Die junge Herrin wurde sehr schnell erwachsen und entwickelte ein festes Selbstbewusstsein. Statt Liebe und Zuneigung herrschten Hass und Krieg zwischen den Eheleuten. Der Herr nahm sich einfach, was ihm zustand. Kein ganzes Jahr nach der Hochzeit war die Tochter Fausta da. Dann folgten rasch Konstantin und Crispus. Helena kam schließlich vier Jahre später. Nachdem die Nachfolge mit den beiden Jungen gesichert war, hatte keiner mehr mit weiterem Nachwuchs gerechnet. Die Herrin hatte die Geburt ganz gut verkraftet, half schon wieder im Haushalt, als sie plötzlich Fieber bekam und innerhalb weniger Tage verstarb.«
Junk hatte wirklich kein Glück mit seinen Frauen. Aber Nikolaus hatte durch die heutigen Gespräche solch eine Abneigung gegen diesen berechnenden und ehrgeizigen Schöffen entwickelt, dass sich seine Gedanken sehr schnell verselbstständigten: Waren die beiden Tode wirklich nur tragische Schicksalsschläge oder steckte mehr als ein Zufall dahinter? Erst fehlte ein Stammhalter, also musste die Unfruchtbare ersetzt werden. Die nächste Frau wurde bald zu aufmüpfig
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