Schweigende Mauern: Historischer Kriminalroman aus Trier (German Edition)
und hatte ihren Zweck erfüllt, nachdem sie genug Kinder in die Welt gesetzt hatte.
Nikolaus musste sich beherrschen, um sich nicht zu verzetteln. Er wandte sich wieder an Gesine Albrecht: »Dann kennt Ihr Helena ja gut.«
»Ja. Ich habe sie erzogen, ihr die Mutter ersetzt. Sie ist ein gutes Mädchen, wissbegierig und klug. Da ähnelt sie ihrer Mutter. Doch der Herr Junk hat sie immer abgelehnt, ihr nie die Aufmerksamkeit und Zuneigung geschenkt, die die beiden Söhne und die erste Tochter bekamen. Vielleicht gibt er Helena die Schuld für den Tod der Herrin. Sie hat immer wieder versucht, die Liebe ihres Vaters zu gewinnen, aber er behandelte sie wie ein Wechselbalg 21 . Und so hat Helena schmerzlich gelernt, dass es oft besser ist, ihre wahren Gefühle zu verstecken und das zu zeigen, was die Menschen erwarten.«
Nikolaus zog erstaunt die Augenbrauen hoch. Was hatte die Witwe ihm im Katharinenkloster also erzählt? Waren ihre Tränen, ihre Entrüstung wahr oder nur gespielt? Hatte er sich von ihr blenden lassen?
»Entschuldigt bitte«, warf Gesine ein, »es ist schon spät. Und der Tag war alles andere als erholsam.«
»Natürlich. Es ist meine Schuld«, beeilte sich Nikolaus zu versichern. »Aber eine kurze Frage habe ich noch. Ist das möglich?«
Sie nickte zustimmend.
»Was läuft zwischen Helena und Adam Grimbach?«
»Die beiden lieben sich schon seit bald drei Jahren. Sie lernten sich kennen, als Adam am Haus des Herrn arbeitete. Sie waren sich schon längst einig. Als sie sich endlich trauten, ihren Wunsch zu offenbaren, hat es der Herr Junk natürlich verboten.«
»Aber dann hat er sie doch einem Handwerker gegeben.«
Gesine Albrecht schaute zur Seite, während ihr wieder Tränen übers Gesicht liefen. »Genau. Der Herr hat das arme Mädchen verkauft.«
»Und Helena und Adam lieben sich noch?«
Sie nickte. »Doch seitdem sich Helena um ihre Tante kümmert, habe ich sie kaum noch gesprochen. Ich kann nicht genau sagen, was zwischen den beiden läuft.«
»Hat sie schon bei ihm übernachtet?«
Die müde, traurige Frau lächelte. »Ich glaube nicht, dass Helena mir das gesagt hätte. Sie weiß sehr genau, wie ich dazu stehe. Ich hätte es nicht toleriert.«
»Und was denkt Ihr?«
Gesine schloss die Augen und überlegte einen Moment. »Die beiden sind so aufeinander fixiert, dass es mich nicht wundern würde. Als Helena begann, Tag und Nacht für ihre Tante zu sorgen, dachte ich schon, sie wollte auf die Weise versuchen, ihren wachsenden Leib zu verbergen. Aber ich konnte beim besten Willen nichts erkennen, als ich sie letzte Woche im Haus des Herrn Junk zufälligerweise traf.«
Nikolaus erhob sich. »Herzlichen Dank für Eure Hilfe.«
Er verabschiedete sich höflich und ging hinaus. Inzwischen war es fast ganz dunkel geworden. Er musste schon genau hinsehen, um die Treppenstufen zu erkennen und sich nicht wie Sabine Junk das Genick zu brechen. Nachdenklich schritt er durch das Tor auf die Straße. In den Fenstern einiger Häuser schimmerten Lichter. Ganz langsam kam Trier zur Ruhe und legte sich schlafen. Auch der junge Mann wollte seinen langen Tag endlich ausklingen lassen.
Entweder wusste Gesine Albrecht tatsächlich nichts zu der Abmachung zwischen Theodor Junk und ihrem Bruder oder sie ahnte etwas, traute sich aber nicht, es zu offenbaren. Es blieb geheimnisvoll und undurchsichtig. Inzwischen hatte Nikolaus auch ernsthafte Zweifel an der Ehrlichkeit Helenas. Hatte sie ihn an der Nase herumgeführt? Verheimlichte sie ein ehebrecherisches Verhältnis mit Adam Grimbach? Sie hatte Herrmann nie zum Mann gewollt, und die Pflege ihrer sterbenskranken Tante ließ leider nicht zu, dass sie bei ihm übernachtete. So ein Zufall! Auch der junge Zimmermannsmeister hatte allen Grund, Albrecht verschwinden zu lassen. Der andauernde Ärger, weil ihm ein unfähiger Meister vor die Nase gesetzt worden war, der ihm noch dazu die Braut weggeschnappt hatte. Wie hatte Herrmann das bloß geschafft? Was besaß er, dass Junk dafür seine jüngste Tochter verschacherte?
Nikolaus blieb wie versteinert stehen. Hatte er hinter sich Schritte gehört? Nervös drückte er sich an die Mauerwand und blickte vorsichtig zurück. Jetzt war nichts mehr zu hören. Er konnte auch keinen sich bewegenden Schatten erkennen. Still wartete er und wagte kaum zu atmen. Irgendwo kläffte ein Hund, über ihm im Haus plärrte ein Kind, das nicht ins Bett wollte, gegenüber hantierte jemand mit einem Kessel oder Topf. Hatte er sich die
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