Schweigende Mauern: Historischer Kriminalroman aus Trier (German Edition)
von St. Gangolf. Nikolaus vermutete es jedenfalls, weil der Name am oberen Rand stand. Wahrscheinlich stellten die hingeschmierten Striche die Balken dar, die ausgetauscht werden sollten. Teile der Zeichnungen waren mehrfach durchgestrichen und übermalt worden, sodass man kaum noch etwas erkennen konnte. Wie sollte jemand nach diesen Vorlagen etwas bauen wollen?
Doch so sehr Nikolaus auch suchte, außer diesen Entwürfen waren sonst keine brauchbaren Unterlagen zu finden. Keine schriftlichen Notizen oder Briefe, keine Verträge, keine sauberen Zeichnungen. Abgesehen von diesem Tisch mit den Unterlagen darauf war der Raum völlig leer. Ernüchtert ging Nikolaus wieder in den Hauptraum und fragte die Witwe: »Hatte Euer Mann sonst noch irgendwelche Papiere oder Zeichnungen?«
Sie nahm die Kelle aus dem Suppentopf und drehte sich herum. »Warum? Sind das denn nicht seine Sachen?«
»Doch, sicherlich. Aber es sind so wenige. Hatte er sonst noch welche?«
Helena dachte einen Moment nach. »Ab und zu hatte er so eine Mappe bei sich.« Sie deutete mit den Händen eine Größe von einer Elle im Quadrat an. »Ganz aus Leder. Er hatte sie bestimmt schon länger. An der Kante, wo er sie immer anfasste, war sie schon ganz blank.«
»Und wo ist sie jetzt?«
Sie zuckte mit den Schultern. »In der Marktkirche vielleicht, wo er die letzte Zeit immer gearbeitet hat.«
»Ich war dort, auch oben unterm Dach. Mir ist nichts aufgefallen. Und weder der Priester noch die Arbeiter haben etwas gesagt. Aber das soll ja nichts heißen. Wo sonst könnte er die Mappe haben?«
»Mir fällt da nur noch Gesine ein. Aber ich wüsste nicht, warum er sie gerade bei ihr zurücklassen sollte.«
Nikolaus musste noch einmal in St. Gangolf genauer nachschauen, ob die Mappe dort lag. Ansonsten würde er Gesine Albrecht fragen. Oder sollte sich der mögliche Mörder die Unterlagen geschnappt haben, weil er wusste, dass sie ihn verraten würden? Das klang logisch. Dazu müsste derjenige aber gewusst haben, dass sich darin ein Hinweis auf ihn befand – oder es zumindest geglaubt haben. Wenn das so war, stand der Mörder höchstwahrscheinlich in geschäftlicher Beziehung zum Zimmermannsmeister.
Helena schreckte ihn aus seinen Gedanken auf: »Habt Ihr mit meinem Vater über meine Brüder gesprochen?«
Wie ein ertapptes Kind stotterte er: »Wie ... wie ... kommt Ihr darauf?«
Sie lächelte. »Ich habe es vermutet.«
»Wieso?«
»Wer so neugierig fragt, wird auch vor meinem Vater bestimmt nicht haltmachen.«
Nikolaus verneigte sich leicht. »Erwischt. Ich bekenne mich in allen Anklagepunkten schuldig.«
Helena drehte sich wieder zur Feuerstelle und rührte die Suppe.
Der junge Mann kämpfte mit sich. Durfte er jetzt noch Fragen stellen, wo sie ihn gerade erst auf seine ungezügelte Neugier aufmerksam gemacht hatte? Sollte er nicht besser gehen? Andererseits war es nun auch egal. Ist der Ruf erst ruiniert ...
»Was haben Konstantin und Crispus wohl vorgehabt? Euer Vater sagte nicht, dass er sie auf Geschäftsreise geschickt hat. Er meinte aber, dass sie viele neue Ideen für Trier hätten. Haben sie denn ein eigenes Geschäft aufbauen wollen?«
Helena wandte sich nicht um, als sie antwortete. »Sie sprachen ab und zu davon, dass sie Vater beweisen wollten, dass sie auch ohne seinen Einfluss erfolgreich sein konnten. Könnte sein, dass sie ihm zwar sagten, was sie vorhatten, aber auf eigene Faust los sind.«
»Haben die beiden schon einmal eine Reise ohne den Vater gemacht?«
»Ja, vor einem halben Jahr.«
»Und wohin?«
»Ich glaube, nach Italien. Sie brachten meinem Vater zwei wunderschöne Glaskelche mit.«
»Und ansonsten?«
Helena überlegte einen Moment. »Mit Vater waren sie vorher nur einmal in Frankreich. Sie redeten immer von einem mir bis dahin unbekannten Ort. Ähm ... Gleich fällt es mir wieder ein ... Saint ... Saint ... irgendwas mit ›H‹ ... Saint Hippo und noch etwas.«
»Saint-Hippolyte?«
»Genau.«
»Davon gibt es mehrere. Eins am oberen Lauf des Rheins im Elsass. Waren sie dort?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Kann sein. Sie reisten jedenfalls den Rhein hinauf.«
»Ein zweites Saint-Hippolyte liegt in Burgund.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.«
»Sagten sie, dass sie über Basel gereist sind?«
»Ja.«
Nikolaus nickte nur.
»Wart Ihr schon dort?«
»Nein. Ich habe nur davon gehört. Was wollten Eure Brüder denn dort?«
»Das wollten sie mir nicht sagen. Sie meinten, das würde ich
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