Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schweizer Ware

Schweizer Ware

Titel: Schweizer Ware Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
Vom Netzwerk:
langweiliges Stillleben geworden. Mit diesen sensiblen Brüchen in der absoluten Harmonie – das kleine Bäuchlein, das zarte Schielen, die winzigen, doch leicht abgeknickten Ohrläppchen, der nach außen gestülpte Bauchnabel – war Anna hingegen bezaubernd.
    Baumer starrte aufs leere Display und sah doch nur Anna in Gedanken vor sich. Sie trug einen farbenfrohen Bikini.
    Vorwurfsvoll sprach sie ihn an. »Andi. Kennst du mich überhaupt?«
    Er sagte nichts.
    Sie schüttelte den Kopf. »Du siehst nur meinen Körper. Höchstens noch, was ich trage.«
    Andreas Baumer führte seine Tasse Cappuccino an die Lippen.
    »Andi?« Sie blickte jetzt eindringlich. »Weißt du denn überhaupt, wer ich bin, und wie ich bin?«, wurde sie fordernd.
    »Du bist schön, Anna«, machte Baumer seiner Freundin ein Kompliment. »Und ich liebe auch dein Wesen.«
    Die Angesprochene schüttelte energisch den Kopf. »Ich kann nicht glauben, dass du das ernst meinst.« Sie machte zwei Fäuste.
    Baumer antwortete nicht. Er hatte den ersten Schluck Cappuccino getrunken, den er am Nachmittag oft einem Espresso vorzog. Er war für ihn so etwas wie das Dessert des Mittagessens – das er ausgelassen hatte. Aroma und Geschmack des Kaffees weckten ihn aus seinem Tagtraum.
    Hinter dem Kommissar wurde Gianni, der Besitzer vom ilcaffè, plötzlich lauter, prustete einige letzte Worte abgehackt in den Raum und stieß schließlich ein hohes, fast kicherndes Gelächter aus. Unmittelbar darauf platzten alle Gäste seiner kultigen Caffébar in der Nähe der Hauptpost in sein Gelächter hinein. Es traf vielstimmig und laut in Baumers Ohren ein.
    Baumer wurde einen Schlag weit angesteckt von der ausgelassenen Heiterkeit der Gäste, er schmunzelte, aber ihm fehlte der rote Faden, um den Witz zu verstehen.
    Mit dem Mord an der alten Amadio ging es ihm gleich wie mit dem Witz. Er hatte nur Bruchstücke. Es ergab noch keinen Sinn. Er musste nachdenken.
    Vier Frauen waren tot.
    Waren das vier Puzzleteile in einem großen Puzzle, das den Namen »Mordserie in Basel« trug? Oder waren es nur vier alte Freundinnen beim Kartenspiel, dort oben im Himmel? Schauten sie bei ihrer Jassrunde jetzt vergnügt auf Andreas Baumer herunter? Blickten sie hinter ihren Spielkarten hervor und riefen lachend: »Ermordet? Wir? Sicher nicht!«
    Nur Helen Amadio-Meier würde nicht mitlachen, war sich Baumer sicher, und er sah die Alte in Gedanken vor sich. Sie legte ihren Kartenfächer verdeckt auf den dicken Jassteppich, schob die Kreidetafel zur Seite und stand auf. Sie tat es, wie sie es immer getan hatte. Sich tief nach vorne beugend, dann die Arme auswerfend, um das Gleichgewicht zu finden, dann mit einem Ruck hoch. Sie kam auf Baumer zu und entschuldigte sich für ihre Freundinnen.
    »Glaub ihnen nicht, Andi. Die schwatzen nur.«
    »Ja, Helen, ich weiß.«
    »Die sind langsam gestorben, ich schnell.«
    »Ich weiß.«
    »Aber ich wollte es nicht. Die da …«, sie schloss ihre Augen halb und zeigte mit dem Daumen Richtung der fröhlichen Jassrunde, »… die waren froh, als sie abgeholt wurden«, flüsterte sie. »Ich aber hätte gerne noch ein bisschen gelebt.«
    Er nickte Helen zu.
    »Ich wollte dich anrufen, Andi. Vergiss das nicht. Ich wollte dich unbedingt sprechen.«
    »Ich vergesse es nicht«, antwortete Andi der inneren Stimme und notierte sich im Geiste: Amadio-Meier wollte mich dringend sprechen.
    Dann kam ihm in den Sinn, dass er ja Anna auch dringend sprechen wollte. Jetzt musste er ihr endlich einmal Zeit schenken.
    »Du schaust doch nach dem Rechten, Andi?«, mischte sich die alte Rentnerin wieder ein.
    »Das werde ich tun.«
    »Warum bist du dann noch hier?«
    Andis Gedanken stockten. Er runzelte die Stirn. Dann wurde ihm schlagartig bewusst, dass um 18 Uhr außerordentlicher Rapport war. Fast hätte er ihn vergessen.
    Baumer warf einen Fünfliber auf die Balustrade. Er versuchte einen letzten Schluck Kaffee aus der Cappuccinotasse zu stehlen, doch es war kein Tropfen mehr darin. Er nahm den Löffel und kratzte damit die letzten Reste Schaum aus der Tasse, schleckte den Löffel gierig ab und verschwand, ohne sich von Gianni zu verabschieden.
    Als Baumer aus dem ilcaffè zügig Richtung des Polizeistützpunktes Spiegelhof zu marschieren begann, wurde er von Gianni bemerkt. Dieser unterbrach das Gespräch, das er mit einem Kunden an der Theke geführt hatte, höflich, indem er seinem Gesprächspartner Worte der Entschuldigung offerierte und ihn zärtlich am Unterarm

Weitere Kostenlose Bücher