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Schweizer Ware

Schweizer Ware

Titel: Schweizer Ware Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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ein bisschen weiter geschnitten war als die anderen. Die würde seinem lädierten Oberschenkel ein wenig mehr Raum lassen. Er legte sich hin und zog sie im Liegen an. Es ging erstaunlich gut und die Hose spannte kaum. Wegen der fehlenden Bewegung der letzten Monate hatte er viel Muskelmasse verloren.
    Baumer stellte sich auf die Füße und fühlte sich sichtlich wohl. Das Bein schmerzte kaum. Flugs zog er eines seiner teuren Baumwollhemden an – Patrik Ervell, zartes Blau-weiß mit feinem Silberfaden, abgerundete Kragenenden. Er knöpfte es rasch zu und fühlte sich seit langer Zeit endlich wieder einmal als normaler Mensch. Wie viel Würde man sich mit einem feinen Hemd in der kalten Welt der Dinge doch erkaufen kann.
    »Jetzt geht’s dir an den Kragen«, drohte er rachesüchtig der verlotterten Trainingshose mit den Klettverschlüssen in den Seiten, die er in den letzten Monaten getragen hatte. Er packte sie und ging damit in die Küche. Mit der Geflügelschere zerlegte er das Teil nach Strich und Faden. Das Zerfetzen machte ihm außerordentlichen Spaß. Nie wieder eine solche Hose anziehen.
    »Nie meh, nie meh Nati Bee« , intonierte er beschwingt den Song, mit dem sich der FCB aus der unteren Liga verabschiedet hatte, als er für ein paar Jahre den Taucher in die tiefere Spielklasse gemacht hatte.
    Baumer stopfte die Stofffetzen in den Abfalleimer. Er freute sich diebisch. Endlich wieder Mensch. Endlich wieder körperlich fit.

    Wenigstens das.

    Er zog seine Socken in Rekordgeschwindigkeit an, schlüpfte in die Schuhe. Jacke über die Schulter und ab in die Stadt.

    *
    Zwanzig Minuten später stand Baumer endlich wieder einmal in seiner Lieblingskaffeebar, dem ilcaffè an der Falknerstraße. Er war freudig erregt an den Klappstühlen vorbeimarschiert, die Gianni bereits an der Fensterfront aufgestellt hatte und welche die Passanten zu einem Päuschen einluden. Es war aber trotz aufgelegter Wolldecken noch zu kalt, als dass jemand seinen Kaffee draußen hätte genießen wollen. Auch Baumer wollte hinein in seinen Tempel. »Endlich wieder einmal Routine«, dachte er, und selbst die Stöcke, an denen er immer noch gehen musste, konnten seiner guten Stimmung nichts anhaben. Er nahm die zwei Stufen am Eingang mit Schwung und begrüßte Gianni, den Besitzer vom ilcaffè, mit mehr Worten als er oft in einer ganzen Woche sprach.
    Der Barrista sprang hinter der Theke hervor. »Baumi, Baumi!«, rief er schallend durch den ganzen Raum, so dass sich die Gäste zum Mann mit den Stöcken hin umdrehten.
    Baumer war das egal. Sein Blick ruhte auf Gianni, der wie eine Gazelle zu ihm herübergesprungen kam, die Hände wild, aber penibel an seiner Servierschürze abtrocknete und ihn schließlich mit weit ausgebreiteten Armen an den Schultern packte.
    »So schön«, säuselte Gianni und blickte Andi tief in die Augen. Dann zerfiel sein Lachen. Sein Gesichtsausdruck nahm eine neutrale, fast gleichgültige Haltung an, wie die des Primus’ in der Schule, der den vom Lehrer hochgelobten Aufsatz abholt. Gianni zog den Kommissar behutsam zu sich, gab ihm Küsschen links, Küsschen rechts.
    Baumer hörte sie als kleine Explosionen von Luft, als zärtliches Minigranatenschmatzen, weil Gianni genau auf der Höhe seiner Ohren ins Nichts küsste.
    Gianni streckte seine Arme wieder aus und sein Gesicht explodierte erneut in Freude wie eine Feuerwerksrakete, wenn sie am Schweizerischen Nationalfeiertag von einem glücklichen Kind entzündet in den Himmel steigt und in tausend farbigen Sternen erstrahlt.
    Baumer lächelte selig.
    »Was nimmst du, Baumi? Sag!«, freute sich Gianni, seinen Gast bedienen zu können, und er beeilte sich, wieder hinter seine Theke zu kommen. »Espresso? Dimmi! «
    »Ja, ein Espresso«, bestellte Baumer. Dann drehte er sich endlich zum Fensterbrett an der großen Scheibe. Sofort erinnerte er sich daran, wie er immer mit Maja hier gestanden hatte und sie zusammen Espressi …. »Stopp, Andi. Hör auf damit. Quäl dich nicht selber«, schalt er sich hart.
    Gianni war derweil hinter die Theke gegangen und legte los. Er hielt den Kolben unter das Gefäß mit gemahlenem Kaffee, zog zwei Mal – Klack, Klack – am Hebel auf der rechten Seite des Kaffeepulverfässchens und ließ das Pulver hineinfallen. Dann presste er es fest, spannte den Kolben– rummsknirsch – in die Maschine ein und drückte – päck – den Knopf für einen großen Kaffee. Während die Maschine bereits anlief, stellte der Barbesitzer – klimper

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