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Schweizer Ware

Schweizer Ware

Titel: Schweizer Ware Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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nicht wehgetan. Wozu hatte man auch jahrelang im Handball das richtige Fallen gelernt. Eine Hand stützt ab, die andere wird vor der Brust eingeschlagen. Über die Schulter abrollen. Fertig. Das ist der ganze Trick.
    Beinahe bemerkte er zur jungen Frau, die ihm zu Hilfe eilte, dass doch nichts passiert sei, kein Problem. Zum Glück besann er sich noch rechtzeitig seiner Rolle. Er schrie daher nochmals laut auf. »Mein Bein, mein Bein!«
    Jetzt kamen auch weitere Passanten hinzugesprungen. Die meisten blieben jedoch in sicherem Abstand vor der Gruppe stehen, so dass sie nicht helfen mussten, aber alles gut sehen konnten.
    Heinzmann gab der jungen Frau Anweisungen. »Gehen Sie in die Klinik. Holen Sie Hilfe. Sie sollen mit einer Trage kommen.«
    Die junge Frau war einen Moment unschlüssig. »Gehen Sie!«, befahl Heinzmann, und der Zeigefinger an seinem ausgestreckten Arm zielte auf die Alpensonne.
    Es dauerte nur kurze Zeit, dann kam die hilfreiche Frau zurück. Im Schlepptau hatte sie zwei Leute aus der Klinik, die eine Transportliege heranrollten. Offenbar Pflegepersonal, denn sie trugen hellblaue Arbeitskleidung, wie man sie auch im Krankenhaus oft sieht. Auf der Brust kringelte sich der Begriff Alpensonne als Teil des Logos, das aus Berg, Sonne und Sitzbank bestand. An den Füßen trugen sie Crocs, die grellbunten Plastiksandalen, die in dieser Saison die Spitäler in Beschlag nahmen wie ein resistenter Pneumokokkenstamm. Die Farben? Schreiorange und giftgrün.
    Heinzmann informierte die Pflegeleute in knappen Worten, dass der Mann hier eine Platte im Oberschenkel habe. Vielleicht sei die gebrochen. Es herrsche Verblutungsgefahr. »Schnell, keine Zeit zu verlieren. Bringen wir ihn hinein.«
    Die zwei Leute aus der Alpensonne, ein Pfleger und eine Krankenschwester schauten unentschlossen auf den Gestürzten. Aber Heinzmanns natürliche Autorität, und nicht minder seine Polizeiuniform, zu der eine SIG-SAUER, Modell 225 gehörte, duldete keine Widerrede. Endlich begriffen die Pfleger, dass es ernst war, und kümmerten sich um den Patienten.
    Ein paar Minuten später hatten sie Baumer vorsichtig auf die Transportliege gelegt. Den Oberschenkel hätten sie eigentlich zuerst fixieren müssen, aber Heinzmann drängte darauf, das Bein des Mannes einfach gemeinsam festzuhalten und nur rasch in die Klinik zu gehen. Also fuhren Heinzmann und der Pfleger den gestürzten Baumer in die Alpensonne, während die Krankenschwester und die junge Helferin sich Mühe gaben, sein Bein festzuhalten und ruhigzustellen.
    Baumer wusste nicht genau, wann er brüllen sollte. Sicherlich hätte bei einem echten Ernstfall jede Bewegung eines erneut gebrochenen Oberschenkels wahnsinnige Schmerzen ausgelöst. Aber dauernd schreien war doch ermüdend. Also begnügte er sich schließlich damit, leise zu wimmern.

    *
    In der Klinik nahm alles seinen geregelten Lauf. Zuerst Untersuchung durch einen Assistenzarzt mit Namen Firsov. Dazu Auskünfte von Andreas Baumer, was mit ihm geschehen sei. Vermutung des Arztes, der Knochen könne wieder lädiert worden sein. Entschluss von Dr. med. Firsov, Baumers Oberschenkel zu röntgen. Also wurde der Verunfallte auf seiner Liege von einer Schwester zum Durchleuchten geschoben.
    Währenddessen sprach der Assistenzarzt, ein etwa 30-jähriger Mann mit den typisch slawischen Gesichtszügen, mit Heinzmann. »Kennen Sie Herrn Baumer?«, fragte der Arzt, dessen kleine Augen fest von hohen Backenknochen eingerahmt wurden, mit russischem Akzent. Seine Haare waren dunkelbraun, für eine Respektsperson deutlich zu wild gewachsen und mehr als eine Spur zu lang gelassen. Seine Augenbrauen über den eng stehenden Augäpfeln waren dicht, seine Nase flach und breit, wie die eines Boxers.
    »Ja. Ich kenne Herrn Baumer«, antwortete der Wachtmeister dem Arzt.
    »Wie lange ist erster Unfall von Herr Baumer her?«
    »Sind Sie Russe?«, ignorierte Heinzmann die Frage des Assistenzarztes bewusst. Er wollte so wenig wie möglich von der Krankengeschichte preisgeben. Vor allem wollte er den Gang dieser Unterhaltung selbst bestimmen.
    »Russe? Wieso interessiert das Sie?«, fragte Dr. Firsov in nur leicht gebrochenem Deutsch zurück. Offenbar war auch er geschult darin, die Oberhand im Gespräch zu behalten.
    »Firsov sagten Sie doch. Das ist ein russischer Name, oder nicht?«
    »Ist das wichtig für Sie?«, fragte der Arzt misstrauisch.
    »Nicht wirklich. Nationalitäten sind mir ziemlich egal. Auf den Charakter kommt es an.«

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