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Schweizer Ware

Schweizer Ware

Titel: Schweizer Ware Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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Klinikdirektor hielt den Kopf aufrecht und still. Die Augen hingegen sprangen von einer Ecke der Notaufnahme in die andere. Ab und an folgte der Kopf mit einem zackigen Drehen seinem Blick, schnappte dann sogleich wieder zurück. Weil er so groß war und seinen Kopf nie senkte, sah es aus, als hätte er das Kinn nach vorne geschoben. Der Spitzbart tat sein Übriges dazu, ihm ein arrogantes Aussehen zu geben.
    Die unteren Chargen im Spital drehten sich instinktiv zum Klinikdirektor hin, nickten artig mit dem Kopf, bekamen aber keinerlei Antwort.
    Noch bevor der große Mann in Weiß ans Bett von Baumer trat – der hatte ihn auf dem Rücken liegend noch nicht wahrgenommen – donnerte seine Stimme los. »So, dann schauen wir doch einmal, was wir hier haben.« Mit diesem Satz getan, trat Freundlieb zu dem Patienten und hielt seine Hand hin.
    Baumer wollte sie ergreifen, aber die Geste hatte gar nicht ihm gegolten. Die Hand Freundliebs forderte einfach die Röntgenbilder, die er sich selbst zu schade war, aus dem Etui zu nehmen.
    Firsov packte sofort die Mappe, zog die Röntgenbilder heraus und hielt sie seinem Chef hin.
    Der fasste ein Bild nach dem anderen und hielt sie hoch in das grelle Licht, das von einer kalten Neonröhre in den Raum geworfen wurde. Offenbar brauchte Freundlieb für die Betrachtung der Bilder kein Leuchtpult. Auch wenn er so nur wenig erkennen würde, für Dr. Freundlieb war das sicherlich genug, um sich ein Urteil zu bilden. Es würde unfehlbar sein.
    »Was fehlt Ihnen denn?«, tat Freundlieb jetzt interessiert, noch immer ein hochgehaltenes Röntgenbild inspizierend.
    »Ich glaube, meine Platte ist wieder gebrochen«, antwortete Baumer scheu.
    »Da kann ich Sie beruhigen«, sagte Freundlieb sofort und ziemlich laut und ließ das Bild hinuntersinken. »Es ist alles noch ganz.« Seine Stimme klang wieder sonor. Dann lächelte er sogar ein klein wenig, fast wie ein lieber, mitfühlender Großvater.
    »Ich habe höllische Schmerzen«, versuchte Baumer, seine Story durchzuziehen, und verzerrte sein Gesicht.
    Der Klinikchef hob nochmals dasselbe Bild ins Licht, tat so, als ob er das Ganze nochmals prüfen wolle. Natürlich hatte Freundlieb aber bereits gesehen, was er sehen wollte. Sein Urteil war schon längst gemacht. Er senkte das Bild erneut und sah Baumer nun zum ersten Mal ins Gesicht.
    »Also vielleicht sind Sie ein wenig erschrocken. Ich höre, Sie sind gestürzt.«
    »Voll aufs Bein«, tat Baumer wehleidig, als hätte er wieder Schmerzen. Dazu gehörte, dass er mit der rechten Hand den Oberschenkel auf und ab fuhr, wie um ihn zu beruhigen.
    »Na ja«, meinte Freundlieb. «Auf dem Bild sieht es nicht schlimm aus. Vielleicht gab es einen kleinen Stoss. Die Schiene hält aber.«
    Baumer ließ nicht locker. »Vielleicht ist irgendwo ein Bruch. Womöglich ist eine Schraube ein wenig ausgerissen.«
    Freundlieb schaute mit halbgeschlossenen Augenlidern zu Firsov. Sein Blick sagte: »Ach, diese Patienten. Wissen immer alles besser.«
    »Was arbeiten Sie denn?«, fragte der Klinikdirektor, und Baumer spürte, dass es den Arzt tatsächlich interessierte.
    »Ich? Warum fragen Sie?«, tat Baumer erstaunt.
    »Weil ich entscheiden muss, ob ich Sie entlassen kann?«
    Das leuchtete ein. Doch Baumer und auch Heinzmann fragten sich, ob es noch weitere Gründe dafür gab, warum ihn Freundlieb nach seinem Beruf gefragt hatte.
    »Ich bin Beamter«, befriedigte Baumer die Neugier des Mediziners. »Ich habe einen Bürojob in der Verwaltung.«
    Dann nahm den allwissenden Dr. Freundlieb doch noch etwas wunder. »Sie sind auch Polizist?«, fragte er den Mann auf der Liege.
    Baumer brauchte einen Moment, bis er die Frage richtig einordnen konnte. War es für Dr. Freundlieb wichtig zu wissen, ob er ein Polizist sei? Nicht wirklich. Jedem Arzt hätte es genügt, wenn er die Information bekommen hätte, dass der Patient in der Verwaltung arbeitete. Ein Bürolist also. Einer, der am Computer sitzt, nicht herumspringt und der einen gut verheilten Oberschenkelknochen präsentiert, dessen Platte weiterhin perfekt sitzt. Den könnte man nach Hause schicken, und es würde sich nicht einmal lohnen, ihm für diesen kurzen Spaß eine Rechnung auszustellen.
    Baumer musste unweigerlich schmunzeln. »Na, Spitzbart«, dachte er vergnügt. »Bist genau so neugierig wie wir?« Das sagte er dem Prof. Dr. Freundlieb natürlich nicht, aber er konnte sich die heimliche Freude nicht verkneifen. Stattdessen erklärte er dem Chefarzt: »Ja,

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