Schweizer Ware
Heinzmann lächelte eine Fratze. »Wie lange sind Sie denn schon in der Schweiz?« Heinzmann versuchte, dieser Frage einen betont legeren, neutralen Anstrich zu geben, aber der Arzt nahm dem Wachtmeister das bohrende Aushorchen offenbar krumm.
»Diese Frage stellt mir immer nur Fremdenpolizei. Was sind Sie für ein Polizist?«
»Ich? Also, ich bin ein ganz gewöhnlicher Straßenpolizist«, antwortete Heinzmann und lächelte wie ein Kind, das ein Bonbon möchte.
»Und Herr Baumer. Was macht er?«
»Ach. Der arbeitet in der Verwaltung. Der ist Beamter. Sitzt nur rum.«
»Ah. So.«
Firsov sah den Wachtmeister an. Der schaute zurück. Beide waren darum bemüht, so uninteressiert wie möglich zu wirken. Keiner wollte sich in die Karten blicken lassen. Beide wussten das voneinander.
Stefan Heinzmann war froh, als ein Pfleger zu Dr. Firsov trat und ihn um eine Entscheidung in irgendeiner Sache bat. Der Assistenzarzt nahm den Mann zur Seite. Er hörte ihm kaum zu, nahm nur offensichtlich uninteressiert auf, was dieser ihm zu sagen hatte, blickte immer wieder zum Uniformierten hin.
Heinzmann schaute sich derweil in der Aufnahme des privaten Spitals Alpensonne scheinbar gelangweilt um. Betrachtete den Raum mit seinen drei nebeneinander aufgestellten Betten, um die man halbtransparente, grasgrüne Vorhänge zuziehen konnte. Das stellte bei der Untersuchung von Patienten eine gewisse Privatsphäre her. Selbstverständlich beobachtete der Wachtmeister Klasse 1 gleichzeitig das Pärchen aus Pfleger und Arzt, das sich ein paar Schritte von ihm entfernt unterhielt.
Während der Klinikangestellte dem osteuropäischen Arzt irgendein Problem zur Kenntnis zu bringen suchte, schaute Firsov zu Heinzmann herüber. Er musterte den Wachtmeister unverhohlen.
Heinzmann nahm das aus dem Augenwinkel wohl war. Mehr noch spürte er auf seiner Haut, was hinter ihm passierte. Hinsehen musste er nicht. Er hatte genug Erfahrung, um seine Sinne immer darauf geschärft zu halten, was einer hinter seinem ungeschützten Rücken anstellte.
Der Pfleger war mittlerweile ein wenig genervt. Weil Firsov immer noch den Polizisten taxierte und ihm kaum zuhörte, versuchte er nochmals, dessen Aufmerksamkeit auf sein Problem zu richten.
Firsov drehte sich endlich zum Angestellten und gab schließlich irgendeine Anweisung. Der Pfleger schien mit der Antwort zufrieden und machte sich flugs auf den Weg, sie auszuführen. Der Arzt hingegen blieb stehen, schaute auf den Boden vor sich. Er schien über etwas nachzudenken, schaute nochmals zum Mann in Uniform hin. Dann ging er eilig zu einem Telefon, das an der Wand hing, nahm den Hörer ab, wählte eine Nummer und sprach ein paar Sätze in die Muschel. Dabei drehte er sich zum Wachtmeister. Schaute diesen kühl an.
Stefan Heinzmann sah das nicht. Er hatte sich von Firsov gänzlich weggedreht. Er wollte dem Mann im Arztkittel und mit den vielen Kugelschreibern in der Brusttasche keine Chance geben zu erkennen, dass er sehr wohl merkte, wenn ihn einer beobachtete. Auch jetzt spürte er den Blick des Russen in seinem Rücken. Ihm konnte keiner was vormachen. Über all die Jahre auf der Straße als Polizist hatte er ein untrügerisches Sensorium für Gefahr entwickelt, wie ein Mäuslein, das im Keller eines ehrwürdigen alten Bürgerhauses am Rheinufer wohnt und sich bei seinen Ausflügen vor den streunenden Katern aus den Puffs ein paar Straßen weiter in Acht nehmen muss.
Firsov hängte auf und ging auf Heinzmann zu. »Unser Chefarzt Dr. Freundlieb, kommt gleich. Es ist der Direktor hier. Es ist sicher gut, wenn auch er sieht Herrn Baumer.«
»Ist das denn nötig?«, fragte ihn der Wachtmeister. Er tat ein wenig verängstigt.
»Dr. Freundlieb ist ein ausgewiesener Spezialist. Ich habe gerne seine fachliche Meinung«, entgegnete Firsov und drehte sich zu Baumer hin, der vom Röntgen bereits zurückgerollt wurde und die eben gemachten Röntgenbilder in einer Mappe auf seinem Bauch festhielt.
Unmittelbar nach der Gruppe mit Baumer kam ein hochgewachsener Arzt in die Aufnahmestation.
Heinzmann erkannte sofort, dass dies der Chefarzt Dr. Freundlieb sein musste.
Freundlieb hatte einen ergrauten Spitzbart und akkurat geschnittene graue Haare, die von einzelnen schwarzen und dadurch besonders auffälligen Strähnen durchzogen waren. Sein Haaransatz war stark zurückgegangen und ließ den halben Schädel erkennen. Seine Halbglatze leuchtete im Neonlicht der Aufnahmestation wie ein Ei im Vogelnest.
Der
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