Schwelbrand
unserem Beruf«, schloss Nathusius das Gespräch. »Wir stehen vor einer großen Frage und müssen das Problem möglichst schnell lösen. Da baut sich ein enormer öffentlicher Druck auf. Die Politik wird sich einmischen und den Druck auf die Strafverfolgungsbehörden noch verstärken. Und niemand da draußen denkt daran, was uns noch viel mehr belastet.«
Lüder setzte den Gedanken des Kriminaldirektors fort. »Wer weiß, ob Jörg Asmussen nicht nur der Anfang war und die noch unbekannte Gruppe nicht weitere Anschläge plant, bei denen es mehr Opfer geben wird.«
Er verabschiedete sich von Nathusius und suchte das Büro von Christoph Johannes auf. Obwohl die Beamten der Kriminalpolizeistelle fast ausschließlich in Einzelzimmern untergebracht waren, residierte der kommissarische Leiter gemeinsam mit Oberkommissar Große Jäger und Kommissar Harm Mommsen in einem Raum. Christoph begrüße Lüder mit einem herzhaften Händedruck, während Große Jäger nur nickte und auf einen verbalen Gruß verzichtete. Seit einem früher gemeinsam bearbeiteten Fall duzten sich Lüder und Christoph. Das galt auch für Große Jäger, obwohl es einseitig war. Der Oberkommissar war gegenüber Lüder immer beim distanzierenden Sie geblieben.
Christoph berichtete von den bisherigen Ermittlungsergebnissen. »Jörg Asmussen ist gestern nach Dienstschluss in der Husumer Innenstadt gewesen. Wir haben seinen Weg anhand von Kaufquittungen verfolgen können. Die gekaufte Ware war ebenfalls vollständig vorhanden, darunter ein als Geschenk verpackter Ring, den er bei einem Juwelier in Theodor Storms Geburtshaus erstanden hat. Die Täter haben sich nicht der Mühe unterzogen, das Päckchen zu öffnen.«
»Das bestätigt unsere These, dass es nur darauf ankam, mit dem Mord ein spektakuläres Zeichen zu setzen, Aufsehen zu erregen«, unterbrach ihn Lüder.
»Das ist leider gelungen. Auf eine besonders perfide Art und Weise. Vom Zentrum aus ist Asmussen zu einem Elektronikmarkt gefahren, der neben einem Baumarkt angesiedelt ist. Wir konnten feststellen, dass er dort von einem Nachbarn gesehen wurde, der Asmussens Vectra auf dem Parkplatz hat vorbeifahren sehen. Ein Kollege der Polizeidirektion hat Asmussen im Kreisverkehr auf dem Weg zum Einkaufszentrum gesehen. Den Kassenbeleg über die dort erstandenen Waren haben wir ebenfalls gefunden. Wir haben das mit dem verglichen, was er in seinen Wagen eingeladen hat. Es fehlt nichts. Die Kassiererin konnte sich an den Kunden in der Polizeiuniform erinnern. Dabei sind Uniformen im Alltag in Husum keine Seltenheit. Neben der Polizei gibt es hier zwei Kasernen, das Raketenabwehrgeschwader ›Schleswig-Holstein‹ in der Flensburger Chaussee und die Julius-Leber-Kaserne. Daher trifft man häufig Mitbürger in Uniform. Dann ist Asmussen von der Bildfläche verschwunden. Wir haben keine Spur, wie und warum. Niemand hat etwas beobachtet. Wir haben einen Zeugenaufruf in den Husumer Nachrichten veranlasst und einen weiteren im Rundfunk gestartet, aber die Pressenotiz erscheint erst in der morgigen Ausgabe. Lediglich ein Zeuge will etwas abseits auf dem sehr stark frequentierten Parkplatz vor dem Einkaufszentrum ein älteres Wohnmobil gesehen haben, konnte aber keine weiteren Angaben machen, weder zum Typ noch zum Kennzeichen. Er meint, es hätte alt und marode ausgesehen. Er hatte sich gewundert, weil Wohnmobile um diese Jahreszeit selten anzutreffen sind. Wir werden diese Spur weiterverfolgen. Eine weitere Frage, auf die wir uns konzentrieren, ist, wo sich Asmussen in der Zeit vom Ende seines Einkaufs, die wir durch den Kassenaufdruck exakt bestimmen können, bis zum …« Christoph sprach es nicht aus. »Wo war er? Offenbar wurde er gegen seinen Willen gefangen gehalten.«
»Möglicherweise im Wohnmobil. Aber das sind Spekulationen«, entgegnete Lüder.
Mommsen räusperte sich und zog damit die Aufmerksamkeit auf sich.
»Der Zug, der das Unglück verursacht hat, verlässt Husum um vier Uhr dreiundzwanzig. Die Täter müssen es gewusst haben, denn sie haben Asmussen auf dem Gleis angebracht, das dieser Zug Richtung Hamburg passiert. Der letzte Zug an dieser Stelle fährt um Viertel vor elf abends nach Itzehoe, also Richtung Süden. Es kommt aber noch der Gegenzug aus Hamburg, der eine halbe Stunde vor Mitternacht dort vorbeikommt. Das bedeutet, dass man das Opfer zwischen Mitternacht und etwa vier Uhr früh dorthin verbracht hat. Die Täter müssen nicht nur den Fahrplan studiert haben, sondern auch über
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