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Schwelbrand

Schwelbrand

Titel: Schwelbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
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Übertragungsweg von der Kamera am Bahndamm auf das Speichermedium war. »Die Leistungsfähigkeit des Senders war beschränkt. Ich schätze, sie betrug maximal fünfhundert Meter«, hatte der Experte geschrieben. Lüder berichtete es Große Jäger.
    »Diese Schweine«, schimpfte der Oberkommissar. »Die sitzen in der Nähe und sehen zu, wie ihr Opfer ermordet wird. Womöglich waren sie sogar so dicht dabei, dass sie es im Original verfolgt haben. Können das normale Menschen sein?«
    Lüder konnte die Frage nicht beantworten. Zumindest waren die Mörder ausgesprochen skrupellos.
    »Die Tat muss auch in der Art der Ausführung genau geplant gewesen sein«, sagte Lüder. »Dafür spricht das Wohnmobil, wenn es mit dem Mord in Verbindung steht, aber auch die Ausstattung. Ob Mommsen schon etwas über die Herkunft des Sprunggurts in Erfahrung bringen konnte?«
    Große Jäger rief in Husum an.
    »Nein«, sagte er enttäuscht. »Obwohl es nur wenig Anbieter gibt, hat das Kind noch keine heiße Spur.«
    »Derjenige, der die Mordaufnahmen ins Internet eingestellt hat, wohnt in Kiel«, sagte Lüder.
    Große Jäger war aufgestanden, trank noch hastig einen Schluck Kaffee und eilte zur Tür. Sein Jagdinstinkt war geweckt.
     
    Der letzte Teil der Kieler Förde ist die Horn. Über sie führt die gleichnamige Fußgängerbrücke vom Hauptbahnhof und vom benachbarten glitzernden Einkaufsparadies Sophienhof zum Ostufer. Dort hatte man in den letzten Jahren aus Chrom und Glas ein neues Terminal für die beiden Norwegenfähren Color Magic und Color Fantasy erstellt, die täglich von Kiel nach Oslo pendelten und ihren Passagieren Kreuzfahrtfeeling vermittelten. Auch der moderne Gebäudekomplex am Germaniahafen, in dem hölzerne Traditionssegler dümpelten, schien dem Schild »Gaarden« vor der Häuserfront hohnzusprechen.
    Gleich hinter der funkelnden Welt aus Glas und Chrom liegt auf einem Geesthang das alte Arbeiterviertel Gaarden, in dem früher die Beschäftigten der benachbarten Werft wohnten. Heute ist Gaarden ein Stadtbezirk, in dem überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund leben. Der Vinetaplatz bildet den Mittelpunkt, den der massige Neubaukomplex mit dem »Vinetazentrum« begrenzt. Mit den roten Klinkern und der gegliederten Fassade wirkt die Anlage gefällig und harmoniert mit dem Ensemble aus der frühen Zeit Gaardens, das die anderen Seiten des Platzes umfasst.
    »Hempel« nannte sich eine Eckkneipe, ohne dass sich Lüder erschloss, ob dort das oft zitierte Sofa stand, unter dem sich nach Volkes Meinung alles Unsortierte wiederfinden sollte. Dort kreuzte die Medusastraße die Kaiserstraße. Sicher hätte der alte Wilhelm sich im Grabe umgedreht, wenn er sehen würde, welche Schlichtheit die Häuser hier aufwiesen. Das gesuchte Gebäude passte zu den Nachbarn. Die ursprünglichen Fenster waren irgendwann einmal durch einteilige Kunststofffenster ersetzt worden. Trotz einfacher Bauweise hatte man Verzierungen, Friese und Rundbögen in die Fassade integriert. Die weißen Kacheln, mit denen das Erdgeschoss verkleidet war, harmonierten überhaupt nicht mit dem Rest. Immerhin waren sie von den Graffiti verschont geblieben, die das Haus zur Linken verzierten.
    Vor einem Hauseingang auf der gegenüberliegenden Seite, inmitten eines Bergs auf den Gehweg gestellten Sperrmülls, lungerten drei Jungen herum. Lüder schätzte ihr Alter auf vierzehn oder fünfzehn Jahre. Einer tippte mit der Hand einen Ball auf das Pflaster, die beiden anderen lehnten sich gegen die Mauer. Der Größte zog lässig an einer Zigarette. Auf seiner Oberlippe zeichnete sich ein schwacher dunkler Schatten ab, ein zarter Flaum, der erste Versuch eines Barts.
    »Eh, Alter, geiles Ding, deine Kiste. Und der Lack glänzt so schön.«
    Lüder erinnerte sich an die Jugendlichen, die ihm bei einem Einsatz in Hamburg-Bergedorf den Lack auf der Fahrerseite zerkratzt hatten. Lüder hatte einen Rechtsanwalt beauftragt, gegen den Verursacher vorzugehen, aber die Chance, die verauslagten Reparaturkosten erstattet zu bekommen, war gering. Bevor er antworten konnte, war Große Jäger auf den Jungen zugegangen, hatte sein Handy hervorgeholt und die Jungen fotografiert.
    »Wenn auch nur ein Staubfussel auf dem Wagen ist, dann geht es euch schlecht«, drohte er.
    »Hast du einen Stich?«, fragte der mit der Zigarette und der verkehrt herum aufgesetzten Baseballkappe.
    Der Oberkommissar trat so dicht an den Jugendlichen heran, dass sein Bauch den jungen Mann berührte. Er

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