Schwelbrand
schüttelte er den Kopf und murmelte ein weiteres Mal: »So etwas!«
»Gab es in letzter Zeit Drohungen gegen Ihre Behörde?«
»Nein! Selbstverständlich nicht. Wir behandeln alle Bürger nach den gleichen rechtlichen Grundsätzen. Es gibt wohl keine staatliche Institution, wo der Gleichheitsgrundsatz so konsequent beherzigt wird wie beim Finanzamt.«
Im Stillen musste Lüder dem Vorsteher recht geben. Es gab wohl keinen Menschen, der sich begeistert zeigte von seiner Steuerlast. Andererseits musste jeder einsehen, dass Gemeinschaftsaufgaben nur aus dem Steueraufkommen bestritten werden konnten. Ohne Steuern gäbe es keine Straßen, keine Bildung, kein Gesundheitswesen und … keine Polizei.
»Gab es in jüngster Zeit spektakuläre Steuerfälle? Ich denke daran, dass sich jemand durch eine vermeintlich ungerechte Behandlung in den Ruin getrieben fühlte. Haben Sie jemanden erwischt, der sein Vermögen als Schwarzgeld im Ausland deponiert hatte und durch eine der in jüngster Zeit kursierenden CDs aufgeflogen ist?«
Möller kniff die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. »Jetzt haben wir einen Punkt erreicht, an dem ich Ihnen nicht mehr antworten kann. Das Steuergeheimnis.«
»Das begreife ich nicht«, mischte sich Große Jäger ein. »Da bombt jemand das halbe Finanzamt weg, und Sie berufen sich auf das Steuergeheimnis«, übertrieb er den entstandenen Sachschaden.
»Ich habe keine Erlaubnis, zu solchen Fragen Stellung zu nehmen.«
So fragwürdig Lüder die Handhabung mit den in der Schweiz oder in Liechtenstein gestohlenen Bankdaten auch sein mochte, so sicher war das Steuergeheimnis bei deutschen Finanzämtern aufgehoben. Möller würde sich eher teeren und federn lassen, als ihre Frage zu beantworten, dachte Lüder.
»Sie haben einen Briefkasten, in den die Bürger ihre Briefe an das Amt einwerfen können?«
»Ja, natürlich. Warum?«
»Ich würde mir gern den Inhalt ansehen«, bat Lüder.
»Ja, wieso denn? Ich sagte schon … das Steuergeheimnis.«
»Ich gehe davon aus, dass niemand seine Unterlagen ohne Umschlag in den Kasten wirft«, erwiderte Lüder.
Der Vorsteher zog die Stirn kraus, als müsse er überlegen. Schließlieh gab er sich einen Ruck. »Wenn es Ihnen reicht, das in meiner Gegenwart zu tun, müsste es sich ermöglichen lassen«, sagte er.
Sie folgten Möller durch den Flur zum Eingang. Unterwegs fiel Lüder auf, dass es nur in Behörden üblich war, die Gehaltsgruppe der Mitarbeiter neben dem Namen an der Bürotür anzuschlagen. Steuerinspektor, Steueroberinspektor, Steueramtmann. Und das Ganze auch noch in Abkürzungen. StI, StOI, StAmt …
Möller klopfte an die Tür der vom Flur verschlossenen Pförtnerloge. Hierher führte der Einwurfschlitz von der Außenmauer. Der Vorsteher wollte sich über den Inhalt des Drahtkorbs hermachen, in den die Post fiel.
»Moment.« Große Jäger hielt Möller vorsichtig am Ärmel fest, schob sich an ihm vorbei, ergriff den Drahtkorb und schüttete ihn auf dem abgestoßenen Schreibtisch aus.
Unwillkürlich zuckte der Vorsteher zusammen, als würde er erwarten, dass der nächste Sprengsatz explodiert. Er protestierte nicht, als Große Jäger ein Lineal vom Schreibtisch aufnahm und den Poststapel Stück für Stück zur Seite schob, bis er seine Tätigkeit bei einem einzelnen gefalteten Blatt Papier unterbrach. Mit dem Lineal drehte er das Blatt so, dass die bedruckte Seite oben lag.
Die beiden Beamten sahen sich an.
Auf dem Papier war der linke Teil des Landeswappens mit den beiden Schleswigschen Löwen ausgedruckt. Es war das offizielle Wappen, bei dem die Löwen den gespaltenen Schwanz zeigten. Darunter stand: »Es reicht.«
»Was bedeutet das?«, fragte Möller.
»Ich vermute, dass doch jemand seinen Unmut über eine seiner Ansicht nach zu hohe Steuer kundgetan hat und das mit ›Es reicht‹ ausdrücken wollte«, log Lüder.
Er sah dem Vorsteher an, dass Möller vor seinem inneren Auge eine unsichtbare Liste der Steuerzahler abspulen ließ und überlegte, wer dieses schändliche Attentat auf sein Amt ausgeführt haben mochte.
Große Jäger besorgte sich bei Klaus Jürgensen eine Tüte für die Sicherstellung von Beweismaterial und bugsierte das Blatt vorsichtig hinein.
»Ob der Täter wieder … ich meine, ein zweites Mal?«, stammelte der verunsicherte Möller.
»Niemand kann Ihnen eine Garantie geben«, antwortete Lüder ehrlich. »Es wäre gut, wenn Sie Ihre Mitarbeiter sensibilisieren würden, dass sie in der nächsten Zeit
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