Schwelbrand
noch mehr auf Unbekanntes und Ungewohntes achten.«
»Wir waren immer stolz darauf, ein offenes und bürgerfreundliches Haus zu sein.«
»Das ehrt Sie. Darum ist es besonders verwerflich, wenn Einzelne das zerstören, was vielen zugutekommt«, sagte Lüder und verabschiedete sich.
»Was geht hier vor?«, fragte Große Jäger, als sie wieder im Auto saßen.
»Es scheint jemanden zu geben, der das Gefüge unseres Landes erschüttern will«, antwortete Lüder. »Möller hat recht. Die Finanzen sind der Nabel unseres Gemeinwesens. Wenn das System zusammenbricht, stürzt alles ein.«
»Wer will das Land zerstören?«
»Das herauszufinden ist unsere Aufgabe. Wer und warum.«
Unterwegs hatten sie auf verschiedenen Radiosendern die Nachrichten verfolgt. Während in allen Meldungen von der Explosion im Finanzamt berichtet wurde, war die Meldung vom Vortag keine »heiße« mehr. Es wurde lediglich berichtet, dass die Polizei noch keine Spur habe und das Motiv weiterhin im Dunkeln liege.
In Leck hatte Lüder mehrere Tageszeitungen besorgt.
Sie hatten gegenüber dem Rathaus einen Parkplatz gefunden. Neben dem Sparkassenschild wies eine gelbe Lottoreklame auf einen Laden hin, der Presseartikel führte. Lüder schmunzelte, als er den Durchgang betrat, der außen den Schriftzug »Sparkassen Passage« trug. Das war wörtlich zu nehmen. Der Weg führte direkt durch die Schalterhalle des Geldinstituts zu einem Laden, in dem Lüder fündig wurde.
Lüder hatte Große Jäger gebeten, während der Fahrt daraus zu zitieren. Die regionalen Zeitungen berichteten auf der Titelseite über den Mord an Jörg Asmussen. Lüder war nicht überrascht, dass es keine Spekulationen um Motiv und Hintergründe gab. Die Presse nahm hier noch ihren Auftrag der objektiven Berichterstattung wahr.
In der Auswahl der Zeitungen durfte natürlich auch die Boulevardpresse nicht fehlen. Lüder war fast ein wenig enttäuscht, als ihm Große Jäger erzählte, dass sich auf der ersten Seite lediglich ein kleiner Abschnitt fand, der von einem »grausamen Mord« an dem Polizisten berichtete, während den Großteil der Titelseite das Bild einer jungen Frau im Minirock zierte. In dicken Lettern stand als Überschrift: »Sie küsst einen anderen.« Darunter etwas kleiner: »Er ist vierzig Jahre jünger als der Ehemann.«
»Sind Sie an Details interessiert?«, fragte Große Jäger. »Soll ich die Frau beschreiben? Das Knie, dass der kurze Rock zwei Handbreit darüber endet?«
»Danke«, entgegnete Lüder. »Wenn ich geküsst werde, ist die Dame keine vierzig Jahre jünger.«
Große Jäger lächelte. »Ihre Tochter.« Dann blätterte er um. »Ah, hier«, sagte er. »Wollen Sie die Überschrift hören? »Polizist von Lokomotive zerfetzt.‹ Soll ich weiter vorlesen?«
»Nein«, sagte Lüder. »Mich interessieren nur ein paar Eckpunkte. Steht dort etwas von dem Zettel mit dem halben Wappen?«
Der Oberkommissar raschelte mit der Zeitung und breitete sie dabei so aus, dass Lüder ihn ein Stück zurückdrängen musste, um ungehinderte Sicht zu haben. »Nee. Davon steht hier nichts. Im Detail wird beschrieben, wie das Opfer auf den Zug geprallt sein muss. Vom Wohnmobil ist die Rede und davon, dass der Familienvater für seine Familie Weihnachtsgeschenke eingekauft hat. Es wird auch auf die Tränendrüse gedrückt, die Angehörigen betreffend. So wie das hier geschrieben ist, klingt das fast wie eine Verhöhnung. Natürlich sind Frau und Kinder auch Opfer. Niemand denkt dran, dass die bis ans Lebensende mit diesem Trauma zurechtkommen müssen. So ein Bild wird man nie wieder los.« Große Jäger schüttelte sich bei dem Gedanken. Lüder musste ihm im Stillen recht geben. So war es häufig bei Verbrechen. Über die Opfer sprach man selten. Wie viele Menschen führten ein unruhiges Leben mit schlaflosen Nächten, nur weil bei ihnen eingebrochen worden war, selbst wenn es nur in ihrer Abwesenheit geschehen war? Allein die Gewissheit, dass sich ein Fremder unbefugt in den Räumen aufgehalten hatte, war eine seelische Belastung. Noch schlimmer erging es den Opfern von Gewalttaten.
»Hoffentlich gelingt es uns, die Rolle der Zettel mit dem halben Wappen möglichst lange geheim zu halten«, sagte Lüder und nickte in Richtung der Zeitung. »Wer hat den Artikel geschrieben?«
»Moment.« Große Jäger suchte noch einmal in der Zeitung. »Der Schmierfink«, sagte er dann.
»Leif Stefan Dittert, mein spezieller Freund«, ergänzte Lüder. »LSD. Der ist für jede
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