Schwelbrand
Rothaarige ist brünett.«
»Woher weißt du das?«
»Nun, zwischen gestern und heute liegt eine Nacht«, erwiderte Horst und lachte herzhaft.
Lüder fiel in das Lachen ein. »Wie kann man nur so ein Lotterleben führen?«
»Manchmal macht es Spaß. Aber ehrlich … Wenn ich dich und deine Familie sehe, dann beneide ich dich doch. Also: Ich habe wieder etwas gut bei dir. Bis zum nächsten Mal.«
»Ciao«, verabschiedete sich Lüder.
Große Jäger hatte dem Gespräch, das Lüder über die Freisprecheinrichtung geführt hatte, aufmerksam gelauscht.
»Ein interessanter Mann«, sagte er. »Mitleid habe ich mit solchen Leuten nicht, die das große Rad drehen wollen und aufs falsche Pferd setzen. Ich weiß zwar nicht, wie viel Geld Aasgaard sein Eigen nannte, aber wenn er es aufs Sparbuch gebracht hätte, wäre die Rendite vielleicht geringer gewesen und er hätte sein Geld nicht verloren.«
»Persönliche Schicksale berühren uns weniger«, erwiderte Lüder. »Mich interessiert viel mehr, welche politischen Ambitionen Aasgaard haben könnte.«
»Auf mich machte er nicht den Eindruck eines umstürzlerischen Revolutionärs«, sagte Große Jäger. »Und Geld scheint in unserem Fall keine Rolle zu spielen. Wenn ich ehrlich bin – ich verstehe das Motiv noch nicht.«
»Das ist sehr nebulös«, gestand Lüder ein. »Ich habe eine weitere Idee. Aasgaard ist ein Vertreter der dänischen Minderheit, ein eher radikaler Verfechter der Idee, Südschleswig mit Dänemark zu vereinigen.«
»Das klingt absurd. Die gefühlten Dänen in Deutschland sind weder militant, noch neigen sie zu extremen Positionen. Ich glaube, wir suchen hier an der falschen Stelle.«
»Kennst du eine andere?«, fragte Lüder.
Der Oberkommissar schüttelte stumm den Kopf.
Im Landeskriminalamt war es ruhig. Wochenende. Das galt auch für die Polizei, zumindest in dieser Funktion. Die Flure waren verwaist. Lüder war auf seiner Etage der Einzige, der heute anwesend war.
Große Jäger hatte neben ihm Platz genommen und starrte ebenfalls auf den Bildschirm, über den Lüder im Internet recherchierte. Nach einer Weile hatte er eine Reihe von Informationen zusammen.
»Dann wollen wir dem Herrn mal einen Besuch abstatten«, sagte er.
»Auf Verdacht?«, fragte Große Jäger.
Lüder nickte. »Mehr können wir nicht machen. In diesem Fall sind wir auf freundliches Entgegenkommen angewiesen.«
Große Jäger nickte nur und war kurz darauf eingeschlafen, als sie erneut über die Autobahn Richtung Norden fuhren.
Schmidt! In den unterschiedlichsten Schreibweisen ist das der häufigste Familienname in Deutschland. Jürgen Schmidt lebte aber nicht in Deutschland, sondern war Lehrer an der deutschen Schule in Tinglev, einem Zentrum der deutschen Minderheit in Dänemark.
»Das ist – sozusagen – der Gegenspieler von Mogens Aasgaard«, stellte Große Jäger fest. »Nur spiegelverkehrt, also ein Däne, der sich zum Deutschtum bekennt.«
»Jenseits der Grenze gibt es ebenfalls eine Bevölkerungsgruppe, die eine Minderheit darstellt. Übrigens ist der Name Schmidt durchaus nicht selten in Nordschleswig, also im Süden des Königreichs«, erklärte Lüder.
»Und da der Mann Lehrer ist, engagiert er sich auch politisch.«
»Vorurteile?«, sagte Lüder spöttisch.
»Ich weise nur auf Tatsachen hin. Aber welchen Sinn macht es, mit Schmidt zu sprechen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Deutschen in Dänemark plötzlich zu Gewalttaten neigen, um Südschleswig, also den nördlichen Landesteil Schleswig-Holsteins, heim ins Reich zu holen. Im wahrsten Sinne des Wortes … Ich meine, ins Königreich, um nicht mit einem Begriff zu jonglieren, der einen bitteren Beigeschmack hat.«
»Alles klingt sehr ungewöhnlich in unserem Fall. Deshalb müssen wir jede Möglichkeit in Betracht ziehen.«
Tinglev – oder Tingleff, wie es auf Deutsch hieß – wirkte wie ausgestorben. Die kleine Gemeinde in der Größe eines Dorfes nach deutschen Maßstäben wurde von der Hauptstraße geprägt, an der die romanische Kirche lag. Auf den ersten Blick bot der Ort keine herausragenden Attraktionen. Für die Einwohner mochte das anders sein, fanden sich doch die Einkaufsmöglichkeiten zentral an der Hovedgaden mit den für das dänische Leben so bedeutsamen Geschäften wie der Bäckerei und den Supermärkten in Bahnhofsnähe. Bekannter war Tinglev als Eisenbahnknotenpunkt. Nicht ganz dreitausend Einwohner genossen das Privileg, dass hier alle Inter- und Eurocityzüge
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