Schwelbrand
Weltkrieg hat sich aber eine positive Kultur durchgesetzt, der Umgang miteinander ist unkompliziert, und man zeigt Verständnis für die Wünsche der Minderheiten. Nehmen Sie mich. Ich bin von der Ethnie her Deutscher. Ich zögere nicht, für die deutsche Kultur einzustehen, und unterrichte aus Überzeugung an einer deutschen Schule. Meine Frau ist Dänin. Mit unseren Kindern sprechen wir mal die eine, mal die andere Sprache. Wir merken gar nicht mehr, in welcher wir gerade parlieren.« Er zeigte auf die Flasche Tuborg-Bier, die vor ihm stand, und hob sie in Große Jägers Richtung an, der von Schmidts Frau ebenfalls ein Bier serviert bekam.
»Der Kaffee dauert noch ein wenig«, entschuldigte sie sich bei Lüder und verschwand wieder im Hausinneren.
»Skål. Das ist dänische Lebensart: im Garten oder davor sitzen und ein Bier trinken. Niemand sieht die Deutschen hier in Lederhose oder Trachtenanzug herumlaufen. Unser Leibgericht ist nicht Eisbein mit Sauerkraut, sondern Rotkohl nach dänischer Art, Schweinebraten und viel, sehr viel braune Soße. Warm essen wir abends, und anschließend gibt es Kaffee und Kuchen.« Er lächelte verschmitzt. »Wussten Sie, dass Leute von hier stammen, denen Sie es nie zutrauen würden? Hjalmar Schacht, Reichswirtschaftsminister und Reichsbankpräsident im Dritten Reich, ist hier in Tinglev geboren. Darauf sind wir allerdings nicht sehr stolz. Anders ist es mit Ernst Reuter, dem berühmten regierenden Bürgermeister der alten und neuen Hauptstadt, den viele für einen Ur-Berliner halten. Der stammt aus dem benachbarten Apenrade. Für mich ist das hier meine Heimat. Natürlich habe ich mitgejubelt, als Danish Dynamite im Fußball gegen Deutschland Europameister wurde. Umgekehrt freue ich mich, wenn Deutschland Vizeweltmeister wird. So ziehe ich die Vorzüge aus beiden Seiten. Natürlich hätte ich mich gefreut, wenn Flensburg 1920 zu Dänemark geschlagen worden wäre.« Schmidt kniff das rechte Auge zusammen. »Dann hätten wir auch eine international agierende Handballmannschaft. Andererseits – ist schon gut so. In Flensburg können wir günstiger einkaufen.«
»Denkt Mogens Aasgaard genauso? Oder halten Sie ihn für fähig, zur Durchsetzung seiner Ziele auch zu außergewöhnlichen Maßnahmen zu greifen?«, fragte Lüder.
Der Lehrer nahm einen Schluck Bier, bevor er antwortete. »Ich bin Aasgaard mehrfach bei Veranstaltungen begegnet. Mein Fall ist er nicht. Ich glaube, ihm fehlt die Lockerheit. Er sieht alles sehr verbissen.«
»Welche Ansichten vertritt er?«
»Tja.« Erneut nahm sich Schmidt Zeit für die Antwort. »Das lässt sich schwer beschreiben. Ich habe es jedenfalls nie verstanden. Das klingt alles sehr diffus.«
»Tritt er für eine Loslösung Südschleswigs von Deutschland und eine Angliederung an Dänemark ein?«
Jetzt lachte Schmidt schallend auf. »Das ist hanebüchen. Nein! Auf die Idee käme nicht einmal ein Phantast.«
»Hat er geäußert, dass er mit dem derzeitigen politischen System unzufrieden ist?«
»Wer ist das nicht?«, wich Schmidt aus. »Mal ging es Ihnen südlich der Grenze besser, jetzt sind wir wieder am Zug. Nej«, verfiel Schmidt ins Dänische, »Aasgaard ist kein Hasardeur.«
Vielleicht doch, zumindest wirtschaftlich, dachte Lüder und erinnerte sich an Horst Schönbergs Informationen über Aasgaards finanzielle Situation.
»Immerhin profitiert er davon, in Deutschland zu leben.«
Schmidt rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. »Sie meinen das hier? Geld?«
Lüder nickte.
»Die Familie Aasgaard lebt seit ewigen Zeiten auf und von ihrem Land. Bisher hat es jede Generation verstanden, das Vermögen zu mehren. Mogens betätigt sich als geschickter Finanzjongleur. Man sagt, dass er auf diesem Gebiet eine vorteilhafte Allianz mit dem Grafen von Søndervig-Gravenstein eingegangen ist.«
Lüder warf Große Jäger einen schnellen Blick zu. Der Oberkommissar nickte unmerklich. Das war der Mann, der heute die Schlagzeile der Boulevardpresse beherrschte, weil seine junge Frau einen Liebhaber hatte und dadurch einen Skandal angezettelt hatte.
»Der Name klingt auch dänisch«, sagte Schmidt. »Der Graf ist völlig unpolitisch, sofern es nicht seine wirtschaftlichen Interessen berührt. Gravenstein ist eingedeutscht und heißt auf Dänisch Gråsten. Dort steht ein Schloss, auf dem sich die Königsfamilie oft aufhält. Während des Deutsch-Dänischen Krieges 1864, als es zur Abspaltung der Herzogtümer Schleswig und Holstein von der dänischen
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