Schwelbrand
nicht deplatziert sind?«, fragte Große Jäger.
Das glaubte Lüder auch, aber er durfte das nicht zugeben. »Es steht dem Grafen frei, uns nicht zu empfangen. Wir haben keine Forderungen gestellt und sind auch nicht aufdringlich geworden.«
»Na ja.« Deutlicher konnte der Oberkommissar seine Zweifel nicht ausdrücken. Als würde er untertauchen wollen, rutschte er im Sitz ganz nach vorn, winkelte die Beine an, verschränkte die Arme vor der Brust und war trotz seiner massigen Gestalt kaum noch von außen zu erkennen.
Wie aus dem Nichts tauchte der Sicherheitsmann an der Fahrerseite auf.
»Graf von Søndervig-Gravenstein lässt bitten«, sagte er.
Es klang, als wäre er hier auch als Butler engagiert. Der Sicherheitsmann führte sie durch einen Nebeneingang und zeigte dann Unsicherheit, in welchen Raum er die Beamten bringen sollte. Lüder lächelte. Der Mann war für diesen Abend angemietet. Er kannte sich nicht aus.
»Einen Moment bitte«, sagte er, nachdem er das Herrenzimmer gefunden hatte.
Lüder fühlte sich in ein englisches Schloss versetzt. Schwere Teppiche auf dem Boden, eine Sitzgruppe mit Ohrensesseln, die um einen niedrigen Tisch mit geschwungenen Beinen gruppiert war, Bücherwände an den Stirnseiten und die dunkle Anrichte mit Kristallkaraffen, in denen es bernsteinfarben schimmerte. An der Decke hing ein Kristalllüster, von der Seite mit der Anrichte grüßten zwei finster dreinblickende Männer in Öl, denen auch der gewaltige vergoldete Rahmen nichts Freudvolles verlieh.
Irgendwo aus dem Haus drang Gelächter zu ihnen herüber. Dazwischen war dezente Musik zu hören.
»Möchtest du hier wohnen?«, fragte Lüder.
Große Jäger schüttelte den Kopf. »Wenn ich sein Geld hätte, würde ich mir das Leben anders gestalten. Mit Sicherheit wären meine Partys dann auch fröhlicher. Haben Sie inzwischen eine Idee, was Sie fragen wollen?«
Lüder nickte und sah an Große Jägers zweifelndem Gesichtsausdruck, dass der Oberkommissar ihm nicht glaubte. Der nach außen so grobschlächtig wirkende Mann überraschte Lüder immer wieder mit der Sensibilität und Feinfühligkeit, mit der er seine Umgebung wahrnahm.
Das Lachen kam näher und endete vor der Tür, die schwungvoll aufgerissen wurde. Ein Mann im weißen Dinnerjackett schob einen Herrn im Rollstuhl herein. Den beiden folgte eine junge Frau mit langen blonden Haaren.
»Sie wollten den Grafen sprechen?«, fragte der Mann mit den dunklen gegelten Haaren, die eng am Kopf anlagen. Hätte er eine Brille getragen, hätte er als Kopie des ehemaligen Verteidigungsministers durchgehen können.
»Guten Abend. Wir bitten, unser Kommen zu entschuldigen, aber wir wussten nicht, dass Sie heute Gäste haben.«
Herwig Graf von Søndervig-Gravenstein hob kurz die mit Altersflecken übersäte Hand, die auf seinem Oberschenkel ruhte. Er trug einen Smoking mit korrekt gebundener Schleife. Die Hose hatte einen dezenten Streifen an der Naht. Die Lackschuhe standen unbewegt auf den beiden Abstellflächen des Rollstuhls.
»Meine Herren«, sagte er leise. Es war kaum wahrnehmbar, zumal er den Mund nicht bewegte. Das Gesicht mit den aristokratischen Zügen wirkte seltsam starr. Nur die eisgrauen Augen unter den buschigen Brauen wechselten flink zwischen Lüder und Große Jäger hin und her. Dann hob er wieder seine Hand. Eigentlich war es mehr eine Andeutung.
»Wenn Sie sich kurz fassen würden«, bat der Mann mit den gegelten Haaren.
»Sie sind Herr …?«, fragte Lüder.
»Paul Kleeberg. Ich bin der Anwalt und Berater des Grafen.«
Lüder warf einen Blick zu der blonden Frau, die sich neben den Rollstuhl gestellt und ihre manikürte Hand mit den glitzernden Ringen auf von Søndervigs Schulter gelegt hatte. Kleeberg hielt es nicht für erforderlich, sie vorzustellen. Lüder vermutete, dass es sich um die jugendliche Ehefrau handelte, von deren Skandal Große Jäger aus der Zeitung zitiert hatte.
»Wir ermitteln allgemein in einer Sache von besonderer Bedeutung. In diesem Zusammenhang haben wir ein paar Fragen.«
Der Graf nickte unmerklich.
»Sie kennen Jürgen Schmidt?«
Kleeberg übernahm es, zu antworten. »Der Mann ist Funktionär der deutschen Minderheit in Nordschleswig.«
»Hat Herr von Søndervig mit der Interessenvertretung zu tun?«
»Nein. Es bestehen keine Kontakte. Warum auch? Graf Søndervig betätigt sich nicht politisch.«
»Nur in diesem Zusammenhang nicht?«
Der Hausherr beobachtete Lüder mit wachen Augen. Ihm schien nichts zu
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