Schwelbrand
direkt an den westlichen Stadtrand Flensburgs. Lüder verließ die Autobahn am Hinweisschild »Letzte Abfahrt vor der Bundesgrenze« und fand sich kurz darauf in einer ruhigen Straße mit der hübschen Bezeichnung »Frühlingsbogen« wieder, die durch den »Winter–« und »Sommerstieg« mit dem »Jahresring« verbunden war. Auch an den »Herbstgang« hatte man gedacht.
Es war dunkel, es regnete, und ein nasskalter Wind blies aus Richtung Osten, als sie vor dem Haus hielten, das sich in nichts von seinen Nachbarn unterschied.
Eine attraktive schlanke Frau öffnete ihnen und bat sie in die Diele, nachdem Lüder sie als Polizisten vorgestellt hatte. Kurz darauf erschien ihr Ehemann. Lasse Holm mochte um die vierzig sein. Er trug Jeans und ein am Kragen offenes Hemd, streckte den beiden Beamten nacheinander die Hand entgegen und bat sie in ein kleines Büro, während aus dem Wohnzimmer die Stimmen zweier Kinder drangen. Auch den neugierigen Beagle, der die beiden Polizisten beschnupperte, schickte er zu seiner Familie zurück.
»Was führt Sie zu mir?«, fragte Holm. »Geht es um die Entführung des Kollegen Claussen?«
»Sie haben davon gehört?«, fragte Lüder.
Holm sah ihn mit großen Augen an. »Sicher. Im Radio. In jeder Nachrichtensendung wird davon berichtet. Außerdem haben mich ein paar Landtagskollegen angerufen. Das macht einen betroffen. Gibt es schon einen Hinweis, warum man Claussen entführt hat?«
»Wer sagt, dass es eine Entführung ist?«, antwortete Lüder mit einer Gegenfrage und musterte sein Gegenüber. Holm machte einen frischen Eindruck. Er mochte einen Meter achtzig groß sein, war blond, trug einen Bart rund um den Mund und wirkte insgesamt sportlich, ohne ins Athletische zu verfallen.
»Das erzählt man sich.«
»Kannten Sie Karl-Hermann Claussen näher?«
»Puh. Was heißt näher? Man sieht sich im Landtag, trifft sich in den Ausschüssen oder in der Lobby, bei dieser oder jener Veranstaltung. Persönlichen Kontakt hatten wir nicht.«
»Was wissen Sie über Claussen?«
»Unauffällig, aber fleißig. Eher ein ruhiger Vertreter, der sich nie in die vorderen Linien gedrängt hat. Routiniert, aber nicht aus der ersten Reihe.«
»Können Sie sich einen politischen Hintergrund für das Verschwinden vorstellen?«
Holm schüttelte den Kopf. »Wir sind in Schleswig-Holstein. Da gibt es nichts Spektakuläres. Es gibt die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner, aber … Bei aller Meinungsverschiedenheit achten wir Parlamentarier uns. Nein. Claussen gehörte ebenso wenig zu denen, die man bedrohen würde, wie alle anderen Abgeordneten. Aber«, fiel Holm schließlich ein, »warum kommen Sie ausgerechnet auf mich? Sie sollten seine Fraktionskollegen befragen.«
»Die Sache mit Karl-Hermann Claussens Verschwinden berührt uns nur peripher«, sagte Lüder.
»Was denn?«, fuhr Holm schnell dazwischen.
»Wir ermitteln in einer ganz anderen Sache. Können Sie uns etwas zu Mogens Aasgaard sagen?«
»Aasgaard aus Kleinjörl?« Holm neigte seinen Kopf zur Seite. »Ein Aktivist für die Sache der dänischen Minderheit.«
»Die Sie auch vertreten.«
Lasse Holm bewegte den Zeigefinger hin und her. »Davon möchte ich mich distanzieren. Wir vom Südschleswigschen Wählerverband vertreten die Interessen der Menschen, die sich zu den Dänen zählen. Das ist richtig. Auch wenn wir in vielen Punkten anderer Meinung als die Landesregierung oder die anderen Parteien im Landtag sind, stehen wir zu der demokratischen Grundordnung Deutschlands und Schleswig-Holsteins. Sie werden nie vom SSW gehört haben, dass wir uns von Deutschland lösen wollen und separatistischen Gedanken nachhängen, selbst dann nicht, wenn die Landesregierung die Dänen diskriminiert. Wirtschaftlich«, schob er nach.
»Und Aasgaard möchte etwas anderes?«
»Er hat verschrobene und unrealistische Vorstellungen. Seit 1919 gibt es die Grenze in der jetzigen Form. Wir leben hier auf beiden Seiten friedlich miteinander, achten uns und respektieren einander, auch wenn es – natürlich – unterschiedliche Interessen gibt und bei manchen Menschen nördlich der Grenze im Stillen noch Ressentiments gegen den mächtigen Nachbarn im Süden bestehen, vielleicht auch aufgrund der deutschen Vergangenheit. Aasgaard … Der steht allein. Solche krausen Gedanken finden keine Anhänger, geschweige denn eine Mehrheit.«
»Können Sie uns das ein wenig detaillierter erläutern? Welche Meinung genau vertritt Mogens Aasgaard?«
»Das ist
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