Schwelbrand
seine Brille auf der langen und spitzen Nase auf und ab.
»Messen Sie die wahre Tiefe des Glaubens an äußeren Attributen? Kommt es auf Gold und Tand an? Oder auf das, was wir in unserem Herzen tragen? Die Gnade des Allmächtigen zu empfangen ist das –«
»Danke«, unterbrach ihn Lüder mit einer Handbewegung. »Wir möchten nicht missioniert werden. Wenn Sie wirklich an Gottes unendliche Güte glauben, so sollten Sie zuallererst Toleranz üben. Aber da wir uns schon im christlichen Bereich bewegen: Wie steht es mit dem fünften Gebot?«
»Du sollst Vater und Mutter ehren?«, fragte Berchelmann.
Lüder und Große Jäger wechselten rasch einen Blick.
»So weit scheint es mit Ihrer Gottesverehrung nicht her zu sein«, belehrte ihn Große Jäger. »Du sollst nicht töten. Das vierte besagt, du sollst Vater und Mutter ehr’n, und wenn Sie dich prügeln, sollst dich wehr’n.«
»Sie müssen hier nichts ins Lächerliche ziehen. Die Reihenfolge, die Sie aufzählen, gilt nur für die Katholiken und die Lutheraner. Alle anderen haben eine andere Reihenfolge.«
»Wir möchten keine theologische Auseinandersetzung mit Ihnen führen, sondern wissen, wer bei Ihnen für den Mord an dem Husumer Polizisten verantwortlich ist«, brach Lüder die Diskussion mit Entschiedenheit ab.
»Ja … äh … niemand.« Von Berchelmann war alle Selbstsicherheit abgefallen. Er wischte sich mit dem Handrücken die feinen Schweißperlen von der Stirn.
»Es gibt unwiderlegbare Beweise, dass von Ihnen Material im Internet gekauft wurde, das beim Mord an unserem Kollegen Verwendung fand.«
»Das kann nicht sein, da irren –«
»Sparen wir uns lange Ausflüchte. Haben Sie ein Tragegestell für ein mobiles Bungeetrampolin im Internet bestellt?«
»Ich wüsste nicht, was –«, stammelte Berchelmann.
»Verdammt noch mal«, fuhr Große Jäger dazwischen und schlug mit der flachen Hand auf einen Papierstapel. »Mit diesem Gestell wurde das Opfer von einer Brücke herabgelassen, bis die Eisenbahn kam.«
Berchelmann hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu. »Hören Sie auf«, rief er. »Ich habe davon gelesen und im Stillen befürchtet, dass es unser Gestell sein könnte. Wir haben es bestellt. Ja. Das ist richtig. Wir hatten eine Hüpfburg, na, so ’n Dings für ein Gemeinde- und Nachbarschaftsfest, gemietet. Dabei ist ein Gurt kaputtgegangen. So mussten wir für Ersatz sorgen.«
»Und wo ist der Gurt? Wer hat ihn geklaut?«, fragte Große Jäger.
»Das kann ich nicht sagen.«
»Oh – doch. Sonst vermuten wir, dass Sie mitgewirkt haben an dem Mord. Dann haben Sie im Bau ganz viel Zeit, Ihre Bibel zu studieren.«
»Sie müssen nicht so höhnisch sein«, regte sich Berchelmann auf. »Außerdem habe ich ein Zeugnisverweigerungsrecht als Geistlicher.«
Lüder lehnte sich zurück, legte die Fingerspitzen aneinander und lächelte Berchelmann an. Es war ein zynisches Lächeln. »Ah – interessant. Jetzt haben Sie uns Ihre Tätigkeit genannt. Sie wollen also Pastor sein und berufen sich auf Paragraf 53 Absatz 1 der Strafprozessordnung.«
»Auf das Beichtgeheimnis, jawohl.«
»Sie wollen doch nicht behaupten, dass Ihr merkwürdiger Verein hier eine Kirche ist und Sie Beichten abnehmen. Dann hat der Mörder Ihnen also gebeichtet, dass er den Polizisten umgebracht hat.« Große Jäger war deutlich der Zorn anzumerken, der ihn übermannt hatte.
»Ja – nein.« Berchelmann sah ratlos von Lüder zu Große Jäger und wieder zurück.
Das war ein Grenzfall, überlegte Lüder. Wer war Geistlicher im Sinne des Gesetzes? Das Zeugnisverweigerungsrecht galt nicht nur für ordinierte Seelsorger, sondern bestimmte sich nach der Funktion. Die Frage, ob diese religiöse Gemeinschaft eine Kirche im rechtlichen Sinne oder nur ein obskurer Verein war, ließ sich im Augenblick nicht beantworten.
»Der Mörder hat nicht gebeichtet«, riet Lüder. »Ihnen ist auch nicht im Zuge Ihrer sogenannten seelsorgerischen Tätigkeit bekannt geworden, wer das Tragegestell entwendet hat. Somit können Sie sich nicht auf das Beichtgeheimnis berufen. Also?«
»Ich sage jetzt nichts mehr.« Berchelmann kniff die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen.
»Gut«, beschloss Lüder. »Wir werden bei Ihnen eine Hausdurchsuchung vornehmen. Sie melden sich morgen früh um neun Uhr auf dem Landeskriminalamt am Mühlenweg in Kiel. Ich rate Ihnen, einen Rechtsbeistand mitzubringen.«
»Und Zahnbürste und Pyjama nicht vergessen. Das stellen wir den Leuten nämlich nicht,
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