Schwelbrand
schwierig zu sagen. Bei uns hat er jedenfalls keinen Platz. Ich habe den Eindruck, er weiß es selbst nicht. Anschluss an Dänemark? Ein eigenständiges Schleswig-Holstein?«
»Wenn ich Sie richtig verstehe, wäre es auch nicht überraschend, wenn ein Mensch wie Aasgaard eine neue Republik gründen möchte durch den Zusammenschluss mit Deutsch-Südwest, Elsass-Lothringen, vielleicht Südtirol und anderen ehemaligen Kolonien, die der Kaiser damals verspielt hat«, sagte Lüder.
Holm lachte herzhaft. »Treffender kann man es nicht formulieren. Und Hauptstadt würde die Neumeyer-Station auf dem Südpol werden, auf die Deutschland auch Anspruch erhebt und die es als Forschungsstation nutzt.«
»Dann würde sich niemand über eine sehr frostige Politik wundern«, erwiderte Lüder. »Welche Sympathien genießt Graf von Søndervig-Gravenstein bei Ihnen?«
Holm legte die Stirn in Falten. »Das ist schwer zu sagen. Uralter Adel mit erstklassigen Kontakten. Sagt man. Es geht sehr verschwiegen zu um den alten Herrn herum, wenn die Yellow Press nicht so viel Aufhebens um seine junge Frau machen würde. Das habe ich – offen gestanden – nicht begriffen, wie der Graf sich so lächerlich machen konnte. Man hört wenig von ihm, und kaum jemand kennt ihn. Es ranken sich viele Gerüchte um seine Person.
Tatsache scheint zu sein, dass er unermesslich reich ist, auch wenn sein Anwesen oberhalb von Glücksburg das kaum zeigt. Hinter vorgehaltener Hand schätzt man ihn zu den zehn reichsten Männern Deutschlands, selbst wenn er kaum in irgendeiner Statistik auftaucht.«
»Und welche politische Rolle spielt er?«
»Hm. Auf diesem Feld ist er überhaupt nicht in Erscheinung getreten.«
Lüder erinnerte sich, dass sie bei dem Besuch im Hause des Grafen von einem Minister der Kieler Regierung hinauskomplimentiert worden waren. Daraus konnte man aber nicht zwangsläufig auf politische Interessen von Søndervig-Gravensteins schließen.
»Geld spielt eine große Rolle, auch in der Politik«, sagte Lüder. »Wenn ich an die Großzügigkeit des dänischen Sponsors denke, der in Schleswig eine Schule spendiert hat, die es so kein zweites Mal gibt.«
Holm bekam glänzende Augen. »Es gibt immer wieder Menschen, die ihr Vermögen zur Förderung der Allgemeinheit einsetzen. Was gibt es Großartigeres, als mit seinem Geld die Bildung junger Menschen zu fördern?«
»Das könnte eine Neiddebatte auslösen. Und man hört, dass kolportiert wird, hinter dieser guten Tat könnten andere Absichten stecken.«
Der Landtagsabgeordnete straffte sich. »So ein Blödsinn. Sie wollen uns oder den Mäzen, der Gutes tut, doch nicht in einen Topf mit Mogens Aasgaard stecken?«
»Nein!«, versicherte Lüder mit Nachdruck. Dafür gab es keine Anhaltspunkte, auch mit viel Phantasie nicht.
Auf der Rückfahrt nach Kiel ließen die beiden Polizisten noch einmal das Gespräch mit dem Landtagsabgeordneten Revue passieren. Aber auch jetzt konnten sie keine weiteren Erkenntnisse daraus ziehen. Mogens Aasgaard schien ein Sonderling mit abwegigen Ansichten zu sein, während den Grafen etwas Geheimnisvolles umgab.
Es war eine unangenehme Fahrt. Dichte Wolken hingen unter dem Himmel. Es war stockfinster. Dazu prasselte der Regen unablässig gegen die Scheibe. Zusätzlich erschwerte die aufspritzende Gischt der anderen Fahrzeuge, darunter viele dänische Lkws auf der Fahrt gen Süden, die Sicht. Zwischendurch tauchte man immer wieder in eine undurchsichtige Wasserwand ein und hoffte, unbeschadet hindurchzukommen. Ob sich die Autofahrer jemals Gedanken darüber machten, dass sie – zumindest für den Bruchteil von Sekunden – im Blindflug über die Straße jagten?, dachte Lüder. Man hatte keine andere Chance. Es waren einzig die Erfahrung und die Hoffnung, dass es gut gehen würde, die einen zu solchem Verhalten veranlassten. Und du bist nicht besser!, sagte er sich.
Große Jäger war erstaunt, als sie am Ende der Autobahn in Kiel weiter Richtung Lübeck fuhren und schließlich am Ostring abbogen.
»Nach Gaarden? Wollen Sie noch einmal nach dem türkischen Jungen suchen?«, fragte er.
Lüder schüttelte den Kopf.
»Aha«, meinte der Oberkommissar und lehnte sich zurück.
Lüder war nicht erstaunt, dass Große Jäger auch ohne Erklärung wusste, welches Ziel Lüder ansteuerte.
Hinter der Schwentineüberquerung bogen sie rechts auf die Umgehungsstraße ab und fuhren ein Stück auf der Bundesstraße, bis Lüder die Abfahrt nach Laboe nahm. Das
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