Schwere Schuld / Der Wächter meiner Schwester - Zwei neue Romane in einem Band
mich.« Ein schwaches Lächeln. »Immer auf der Suche nach einer versteckten Bedeutung.«
»Was war das, was er zu Ihnen gesagt hat?«
»Am Tag, nachdem er mir sein Herz ausgeschüttet hatte, sah er großartig aus, als er bei mir zur Tür reinkam. Er stand gerader, sein Gang war aufrechter, seine Augen waren klar. Ich sagte, er sähe aus wie ein Mann mit einer Mission. Er lachte und meinte, ich hätte recht. Er war bereit zu fliegen, bereit für alles, was Gott oder Odin oder Allah oder wer immer die erste Geige spielte in seine Richtung werfen würde. ›Ich werde mir die Lunge aus dem Hals singen, Doc. Werde meine biologischen Rechte reklamieren.‹ Das ist der Teil, den ich übersehen habe, als ich zum ersten Mal mit Ihnen
sprach. ›Biologische Rechte‹. Ich dachte, er bezöge es auf ›Lunge‹. Rumzublödeln, das war Jacks Stil. Er nahm die Dinge, die ihm Angst machten, auf die leichte Schulter, bis sie ein Maß erreichten, wo sie ihn überwältigten.«
»Seine biologischen Rechte reklamieren«, sagte Baker. »Eine Vaterschaftssache?«
»Am Tag davor konnte er von nichts anderem reden als von Vaterschaft. Ich hätte die Verbindung herstellen sollen.«
»Und Sie glauben, das sei von Bedeutung, weil …«
»Ich bin kein Mordexperte«, sagte Delaware. »Aber ich habe einige Tatorte gesehen. In der Zeitung stand, Jack sei erstochen worden, und ein Messer kann eine intime Waffe sein. Man muss nah an einen Menschen herangehen, wenn man eins benutzen will. Falls Sie mir sagen, Jack sei beraubt worden, ändere ich meine Meinung. Falls nicht, werde ich mich weiterhin fragen, ob er von jemandem erstochen wurde, den er kannte. Angesichts seiner Bemerkung über die biologischen Rechte und der Entschlossenheit, die er ausstrahlte, bevor wir abflogen, frage ich mich auch, ob er sich deshalb Nashville für seinen Jungfernflug ausgesucht hatte - sich für dieses bestimmte Benefizkonzert entschieden hatte -, weil er aus einem persönlichen Grund hier sein wollte. Und schließlich auch deshalb gestorben ist.«
Keiner der beiden Detectives äußerte sich dazu.
»Falls ich Ihre Zeit verschwendet habe, tut es mir leid«, sagte Delaware. »Ich hätte mich nicht wohlgefühlt, wenn ich Ihnen nicht davon berichtet hätte.«
»Wir wissen das durchaus zu schätzen, Doktor«, sagte Baker. Er beugte sich vor und nahm das Fax in die Hand. »Kennen Sie eine Frau namens Cathy Poulson?«
»Tut mir leid, nein.«
»Sind Sie nicht neugierig, aus welchem Grund ich gefragt habe?«
»Ich habe gelernt, meine Neugier zu bezähmen. Aber klar, wer ist sie?«
»Eine alte Freundin von Jack. Hat sich mit ihm in L.A. rumgetrieben, vor dreißig Jahren vielleicht.«
»Vor dreißig Jahren war ich ein Teenager in Missouri.«
»Die Sache ist die«, sagte Lamar, »dass sie sich auch vor neunzehneinhalb Jahren mit ihm zusammengetan hat.«
Delaware blickte sie forschend an. »Das ist eine präzise Zeitangabe. Das wissen Sie, weil ein bestimmtes Ereignis stattgefunden hat.«
Baker schaute Lamar an. Lamar nickte.
»Ein gesegnetes Ereignis.«
»Noch ein Kind«, sagte der Psychologe. »Eine der Frauen, über die Jack nachdachte. Wohnt sie hier?«
»Ja, Sir. Aber im Moment bitten wir Sie, diese Information vertraulich zu behandeln. Obwohl Tote kein Recht darauf haben.«
»Natürlich. Junge oder Mädchen?«
»Junge.« Sie zeigten ihm Tristans Foto.
Er sagte: »Oh, Mann, er sieht genauso aus wie ein junger Jack.«
»Er schreibt Songs«, erklärte Lamar. »Oder bildet es sich ein.«
»Soll das heißen, dass ein Treffen ein Vorsingen eingeschlossen hat?«, fragte Delaware.
»Vielleicht kein glückliches.« Baker zog eine gefaltete Fotokopie aus seinem Notizbuch.
Delaware las den Text. »Ich verstehe, was Sie meinen. Haben Sie das in Jacks Taschen gefunden?«
»In seinem Hotelzimmer. Wie würde Jack auf so etwas reagieren?«
Delaware dachte nach. »Schwer zu sagen. Ich nehme an, es würde von seiner Gemütsverfassung abhängen.«
»Was meinen Sie damit?«
»Wie ich Ihnen schon sagte, konnte Jack ziemlich launisch sein.«
»Sie sind nicht der Einzige, der uns das erzählt«, erwiderte Baker.
»Vielleicht bewegte er sich sogar an der Grenze zu einer Gemütsstörung. Seine Stimmung konnte ziemlich schnell von einer freundlichen in eine regelrecht bösartige umschlagen. In der Therapie habe ich seine wütende Seite nur ein paarmal erlebt, und das war nicht sonderlich schlimm. Ein Aufflammen von Ärger, meistens am Anfang, als er ambivalent
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