Schwere Schuld / Der Wächter meiner Schwester - Zwei neue Romane in einem Band
Widerworte, und wenn man ihnen genug Zeit widmet, kann man sie schließlich zureiten.«
Sie holten einen IBM ThinkPad vom Rücksitz des VWs, fuhren ihn hoch, verbrachten eine Stunde mit Tristans alten Mails. Ein Techniker nahm eine vorläufige Überprüfung der Internet-Kontakte des Jungen vor.
»Unheimlich«, sagte der Techniker.
»Was?«
»Nur Musik-Kram - Downloads, Artikel, tonnenweise. Überhaupt kein Porno. Das muss der erste Teenager in der Geschichte des Internet-Zeitalters sein, der seinen Laptop nicht als Wichsvorlage benutzt.«
Lamar kicherte. »Wir wissen, was du nachts machst, Wally.«
»So bin ich beschäftigt und muss mir vorher nicht die Zähne putzen.«
Die Mails zwischen Jack Jeffries und Tristan bestätigten die Geschichte des Jungen. Es gab zumindest eine Korrespondenz von einem halben Jahr, die von anfänglicher Reserviertheit auf beiden Seiten über Liebenswürdigkeit und Herzlichkeit bis zu Liebeserklärungen zwischen Vater und Sohn führte.
Nichts, was schmierig klang oder sexuelle Untertöne hatte, die Briefe hätten aus dem Kasten mit praktischen Beispielen zum Thema »Ideale Kommunikation« von Dr. Phil
oder einem anderen dieser Prediger mit Doktortiteln stammen können.
Jack Jeffries lobte einige der Texte seines Sohnes, aber er geriet nie ins Schwärmen. Die Kritik bei schwächeren Songs war taktvoll, aber offen, und Tristan reagierte auf jeden Kommentar mit sanftmütiger Dankbarkeit.
Kein Anzeichen dafür, dass Jack je seine Meinung über »Music City Breakdown« geändert hätte.
Sie verbrachten eine weitere Stunde damit, mit der neuen Hightech-Strafanstalt zu telefonieren und die Namen der Insassen herauszukriegen, die sich um das Gelände des alten Gefängnisses kümmerten. Zwei der Gefangenen erinnerten sich, unmittelbar vor der Trinkpause den grünen VW oben auf dem Hügel gesehen zu haben, und einer wusste noch, dass er einer fernen Gestalt zugewinkt hatte, die neben dem Wagen stand.
Nichts davon lieferte ein wasserdichtes Alibi; der Mord hatte vorher stattgefunden, als Tristan Poulson seiner Behauptung zufolge an seinem Song gearbeitet und geschlafen hatte und durch das Internet gesurft war. Amelia, das Hausmädchen, würde das zweifellos bestätigen.
Auch ohne die Bestätigung begannen die Detectives zu bezweifeln, dass Tristan ihr Hauptverdächtiger war. Der Junge hatte viel Zeit gehabt, sich ein richtiges Alibi zu besorgen, aber die Mühe hatte er sich nicht gemacht. Tristans Verhalten hatte eine gewisse Offenheit gehabt, trotz allem, was er durchgemacht hatte. Falls einer der beiden Männer in der Lage gewesen wäre, es zuzugeben, hätten sie es rührend genannt.
Und soweit die Detectives es beurteilen konnten, hatte der Junge nicht gelogen.
Im Gegensatz zu seiner Mutter.
Baker und Lamar stimmten darin überein, dass Tristans Theorie zu ihr interessant klang.
Wiederholte Anrufe bei Al Sus Jahara Arabian Farms wurden mit einer Tonbandnachricht von einer Kürze abgefertigt, die an Unfreundlichkeit grenzte.
Lamar googelte das Gestüt. Es bestand aus vierhundert Hektar Hügelland, riesigen Bäumen und herrlichen Pferden. Stammbäume von Champions, ein großes Herrenhaus aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg, Koppeln, Ställe, Zuchthengste, kryogenische Samenlagerung, das ganze Drum und Dran. Bei einem Laden, um den ein derartiges Theater gemacht wurde, sollte man doch annehmen, dass am andern Ende ein Mensch an den Apparat kam und kein Anrufbeantworter.
Es sei denn, jemand hielte sich versteckt.
Am Ende des Tages und nachdem sie die Lage noch einmal mit Fondebernardi und Jones besprochen hatten, kamen sie zu dem Schluss, dass Cathy Poulson den Status einer »ernsthaft Verdächtigen« erreicht hatte, aber sie hatten keinen leichten Zugang zu Beweisen gegen sie.
Bevor sie dazu übergingen, in Belle Meades gesellschaftlichen Kreisen herumzustöbern, beschlossen sie, noch einmal Kontakt zu einer Augenzeugin aufzunehmen. Wenn man so wollte. Zu jemandem, der Cathy und Jack gesehen hatte, kurz bevor Jack die Kehle durchgeschnitten wurde.
14
Das Happy Night Motel sah nicht besser aus als in seiner Bordellzeit. Stuck war in grauen Texturschichten abgeblättert und hatte Löcher hinterlassen, in denen Hühnerdraht sichtbar wurde. Die grünen Holzrahmen sahen scheußlich aus. Zwei große Sattelschlepper waren auf dem rissigen Asphalt des Parkplatzes abgestellt. Ein schmutziger Pick-up und ein Celica, dessen Lackschäden stellenweise mit Grundierfarbe
ausgebessert
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