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Schwert und Laute

Schwert und Laute

Titel: Schwert und Laute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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essen gegeben und sie untergebracht. Wir haben ihnen unseren besten Whisky und einen warmen Platz an unseren Feuern gegeben.
Doch sie haben das heilige Gesetz der keltischen Gastfreundschaft gebrochen.«
    Er machte eine kurze Pause und sah mich an. Auf seinem Gesicht lag ein kalter, undeutbarer Ausdruck. Dann richtete er den Blick erneut in die Ferne und nahm seine Erzählung mit bedrückter Stimme wieder auf.
    »Diese Bastarde haben uns verraten. Sie sind fast zwei Wochen hier geblieben, und während dieser ganzen Zeit haben sie unsere Gastfreundschaft missbraucht, mit dem einzigen Ziel, uns wie Hunde abzuschlachten. Sie wollten uns bis auf den letzten auslöschen, Männer, Frauen und sogar Kinder.«
    Ich erbleichte. In Edinburgh hatte ich den Berichten über das Massaker nur ein zerstreutes Ohr geschenkt. Zu dieser Zeit war mein Leben schon genug erschüttert worden. Mir fiel es schwer, den Verlust meines älteren Bruders Michael zu verkraften, der für die Krone der Stuarts gestorben war. Er hatte sein Leben gegeben, als er 1690 in der Schlacht am Boyne an der Seite der irischen Jakobiten gekämpft hatte. Und dann hatte Matthew ein Jahr später in Aughrim seine Hand verloren. Wir hatten einen schweren Tribut für die Sache der Stuarts entrichtet, doch James II. sollte den Thron von Irland, Schottland und England nie wieder besteigen. Die Katholiken hatten verloren und wurden verfolgt. Wir waren fortgegangen, ehe es zu spät war.
    Fragen brannten mir auf den Lippen. Seine Frau Anna, sein Sohn... Doch ich wollte lieber darauf warten, dass er selbst von ihnen sprach. Ihm waren nur noch seine Schwester und sein Bruder geblieben. Konnte man sich von einer solchen Tragödie erholen? Ich wusste selbst, dass dem nicht so war. Am liebsten hätte ich ihn berührt, ihn getröstet, doch ich hielt mich zurück. Gewiss kümmerte sich schon eine andere Frau ganz ausgezeichnet darum, seine Seele zu heilen.
    Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, verhielt kurz auf der Stirn und ließ sie dann schlaff ins Gras sinken. Als er fortfuhr, klang er ruhiger.
    »Alle Überlebenden hier haben bei dem Massaker einen geliebten Menschen verloren. Bei manchen war es ein Vater, ein Sohn oder ein Bruder, bei anderen eine Mutter, eine Schwester, eine
Kusine... oder eine Ehefrau. Sie haben achtunddreißig Mitglieder des Clans abgeschlachtet, darunter MacIain, den Chief. Wahrscheinlich ist es ihnen nur dank des schlechten Wetters nicht gelungen, uns alle auszulöschen. In der Nacht des Massakers tobte ein Sturm. Wer konnte, ist in die Berge geflüchtet. Die Soldaten standen vor unseren Türen, mit dem Bajonett in der Hand. Die Frauen und Kinder trugen nur Nachtkleidung, viele hatten nackte Füße. Sie waren aus den Betten gerissen worden und flüchteten nur mit ihrem Leben und dem, was sie am Leibe trugen. Wir mussten mehrere Meilen durch die Berge wandern, bis wir in einer Höhle anhalten konnten. Manche sind auf dem Weg gestürzt. Wir konnten nichts mehr für sie tun.«
    Er unterbrach sich und zögerte.
    »Ich hatte eine Frau und einen Sohn, Caitlin.«
    Ich strich über seine Hand, die unbeweglich neben meinem Schenkel lag. Er reagierte, indem er sie packte und drückte, und dann strich er mir mit den Fingerspitzen über die Handfläche. Unsere Blicke trafen sich. In seinen Augen standen Schmerz und Zorn.
    »Sie sind erfroren. Ich konnte sie nicht retten. Mein Sohn... Coll... er war erst vier Jahre alt. Er ist in meinen Armen gestorben.«
    »Liam, das tut mir so leid...«
    Er schloss die Augen und seufzte. Er hatte mir einen der dunklen Winkel seiner Seele geöffnet und seine Erinnerungen mit mir geteilt. Aber ich konnte ihm nicht von meinen eigenen erzählen. Das war noch zu schmerzhaft.
    »Wir hatten unsere Waffen versteckt«, versetzte er ironisch. »Der Treueid untersagte uns, andere Waffen zu besitzen als die, welche für die Jagd bestimmt waren. Also haben wir unsere Musketen, unsere Claymore-Schwerter und unsere Lochaber-Äxte unter Torfhaufen in den Bergen verborgen, unter dem Schnee. Und außerdem, selbst wenn wir sie in Händen gehabt hätten, dann hätten sie uns möglicherweise gar nichts genützt. Sie haben die Männer aus den Betten gezerrt und ihnen sofort eine Kugel durch den Kopf geschossen.«
    Er legte eine Pause ein und verschränkte seine Finger mit den meinen. Ich hoffte, dass er sie nie wieder loslassen würde.

    »Ich habe in meinem Leben schon viel Gewalt gesehen; in den Highlands gehört sie zum täglichen Leben.

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