Schwerter der Liebe
Polonaise war aus blassgrüner Seide, bestickt in hell- und altrosa, mit Turnüren an den Hüften, die auf einem Reifrock ruhten. Dazu trug sie einen sinnlichen zarten Rock in einem dunkleren Blaugrün, der bei jedem Schritt sanft um ihre Beine wogte und der kurz genug war, damit man ihre bestickten weißen Seidenstrümpfe und ihre Schuhe mit den hohen Absätzen sehen konnte, die mit Rüschen besetzt waren. Ihr Korsett reichte an Büste und Taille etwas weiter nach unten beziehungsweise oben, als es derzeit Mode war. Der Effekt war, dass ihre Taille dadurch extrem schmal wirkte und ihr Busen so über die Oberkante des Mieders gedrückt wurde, dass man es last schon als unanständig hätte bezeichnen können, wären ihre Brüste nicht von knappen rosafarbenen Rüscheneinsätzen bedeckt gewesen, die den gleichen Farbton aufwiesen wie ihre Brustwarzen. Von diesem gewagten Aspekt abgesehen, konnte man ihr Kostüm insgesamt als recht dezent bezeichnen.
Sie konnte es nicht erwarten, Nicholas' Reaktion zu erleben. Vorausgesetzt natürlich, er erkannte sie überhaupt. Vielleicht würde ihm das aber gar nicht gelingen, und sie war sich noch längst nicht sicher, ob sie sich ihm gegenüber zu erkennen geben würde.
Paulette hatte für diesen Abend ein völlig anderes Kostüm gewählt, wofür Juliette sehr dankbar war. Ihre Schwester hatte sich gegen Röcke und Korsett entschieden und trug ein römisches Gewand, das mit einer geflochtenen Borte in Purpur und Gold gesäumt war. Ihre schlichte Frisur wurde durch ein goldenes Stirnband gehalten, dazu hatte sie eine purpurfarbene Halbmaske angelegt. Solange sie beide sich nicht zu nahe kamen, glaubte Juliette, ließe sich durch nichts ihre wahre Identität erraten.
Der Ballsaal war für diesen Abend ein prächtiger Schauplatz, eine Symphonie in Creme, Weiß und Altrosa. Der Saal gehörte zum neuen St. Louis Hotel, das an der Stelle des alten, vor zwei Jahren abgebrannten Hotels entstanden war und noch immer nach neuem Holz und frischer Farbe roch. An der ovalen kuppelförmigen Decke, die den Saal wie eine riesige Höhle wirken ließ, hing ein beeindruckender Kristallleuchter, dessen flackerndes Gaslicht Myriaden von zuckenden Schatten an die Wände und auf den glänzenden Holzboden warf. Auf einem Podest am anderen Ende des Raums stimmte sich ein Pianist unterstützt von einem Streicherquartett und einem Waldhorn gerade ein, das Durcheinander der verschiedenen Klänge sorgte für eine Kakophonie, die in den Ohren wehtat. Da dieser Abend für die Jahreszeit ungewöhnlich warm war, hatte man die Flügeltüren entlang der Saalwände geöffnet und die Brokatvorhänge aufgezogen, damit frische Luft ins Innere gelangen konnte. Nur die dünnen Gardinen aus Gaze waren vor die offenen Türen gezogen, um Insekten fernzuhalten.
Etliche Gäste waren bereits eingetroffen, sodass sich im Saal Könige und Höflinge, Bischöfe und Nonnen, Königinnen und Teufel, Harlekine und Kolombinen sowie Dutzende andere schillernde Persönlichkeiten tummelten. Es dauerte nicht lange, dann hatte sie Nicholas entdeckt — oder zumindest einen Mann, der fast mit Sicherheit Nicholas war.
Der Edelmann, den sie ins Auge gefasst hatte, war von beeindruckender Größe und athletischer Statur, er trug ein weites Hemd mit langen, mit Spitze gesäumten Ärmeln. Das Hemd hatte er in die Doeskin-Hose gesteckt, dazu trug er kniehohe Stiefel mit Stulpen. Ein Wappenrock in Französischblau mit den aufgenähten Waffen eines mousquetaire aus der Zeit von Louis XIV. ergänzte sein Ensemble. Über einer Schulter hing ein kurzes Cape, die Krempe seines breiten Huts war an einer Seite hochgesteckt und saß auf einer vollen schwarzen Lockenperücke. Die Krönung des Ganzen war das Rapier, das an seiner Hüfte hing. Eigentlich hätte diese Waffe genauso wie die Stockdegen und kleinen Pistolen, die viele Männer stets bei sich trugen, an der Garderobe abgegeben werden müssen. Da seine Waffe aber Bestandteil seines Kostüms und zudem außerordentlich reichhaltig verziert war, hatte man wohl eine Ausnahme gemacht und ihm auch so Einlass gewährt. Er sah so schneidig und atemberaubend aus, dass Juliette bei seinem Anblick eine wohlige Hitze in sich aufsteigen fühlte. Für einen Moment empfand sie es als eine Schande, dass die Art, in der er sich gekleidet hatte, nicht mehr in Mode war.
Natürlich war das Nicholas. Um jeden Zweifel auszuräumen, musste sie nur einen Blick auf den großen Gentleman neben ihm werfen, der sich als
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